Full text: Natur und Gott

236 Wissenschaftl. u. relig. Naturanschauung i. d. Geschichte. 
sionen behandelt und ihre grundlegende Bedeutung für die Gesamtheit 
des geistigen Lebens positiv gewürdigt hatees). 
Descartes' Gesamtanschauung ist trotz des starken Einschlages mecha⸗ 
nistischer Gesetzmäßigkeit ihrem Wesen nach rationaler Idealismus. Man 
erkennt das auch daran, daß der Gottesgedanke zum Wesen des denken⸗ 
den Geistes in engster Beziehung steht, dagegen zur Körperwelt eine 
solche nicht besitzt. Wenn man von der natura intellectualis die Grenzen 
wegdenkt, so hat man die Idee Gottes und diese Idee wiederum gibt, 
beschränkt gedacht, die Idee einer Menschenseele⸗zes). Wie schwierig da— 
gegen eine Beziehung Gottes zur Körperwelt zu konstruieren ist, erhellt 
schon daraus, daß wenn Gott Geist, mithin denkendes Wesen in höchster 
Potenz ist, eine innere Beziehung zum Ausgedehnten bei ihm noch we— 
niger in Frage kommen kann, als beim endlichen Geiste. Auch darin 
zeigt sich die Diskrepanz, daß die mathematische Konstruktion der Körper— 
welt den 5weckbegriff notwendig ausschließt; Descartes leugnet zwar 
nicht, daß Gott Zwecke in der körperlichen Welt verfolge, hält es aber für 
Vermessenheit, dieselben kennen zu wollen. Es bleibt demgemäß nur 
übrig, die Schöpfung der endlichen Dinge, deren Begriff bereits die Zu— 
fälligkeit der Cxistenz einschließt, auf die Willkür des göttlichen Willens, 
der durch nichts, auch nicht durch seine Einsicht bedingt ist, zurückzu— 
führen?o). So muß der Nominalismus dazu dienen, einen zu Platon 
zurückgekehrten Dualismus mit der Schöpfungsidee auszugleichen. Die 
hier zutage tretenden Schwierigkeiten konnten aber auch den Anlaß 
geben, unter Zurückdrängung der Gottesidee die mechanische Weltan— 
schauung durch Rückkehr zu Demokrit und Epikur zu unterbauen. Gas⸗ 
sendi ist es?n), der in scharfem Gegensatz zu Descartes den „Epikur— 
eismus“ als die vorzüglichste Doktrin in Bezug auf die Naturlehre zu 
erweisen versucht, übrigens den christlichen Gottesgedanken damit ver— 
einigt. Von vornherein sei eine bestimmte Anzahl von Atomen geschaffen, 
substantiellen Einheiten, denen absolute Solidität zukommt. Neben den 
fltomen gibt es einen absoluten leeren Raum, und jedes Atom hat einen 
ihm von Gott bei der Schöpfung mitgegebenen, unverlierbaren Antrieb 
2oe) Vgl. dazu Dilthen a. a. O. II 483ff. Wenn Descartes (im Gegensatz zur 
Stoa) erkennt, daß die höchste Tugend selbst nicht affektlos ist, so stimmt er darin 
mit Cuther durchaus überein (val. meine Ausführungen in der Festgabe für A. v. 
harnack, s. 332f. 335. 336, sowie Nr. 2. 5 der Schlußzusammenfassung). 
260) Brief von 1638 ed. Cousin VIII p. 58. 
2o) An Mersenne 20. Mai 1630 (ed. Cousin VI s. 13 80.) vgl. Objeect. 
sext. 
221) Auch in der Scholastik fehlt es nicht ganz an Vertretern des Atomis— 
mus; vgl. Baumgartner-Uberweg S. 216*. 
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