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Das Werden einer neuen Gesamtanschauung. 241
gedacht worden, aber auch das Reich des Geistigen als ein in sich ein⸗
heitliches Reich mit eignen Gesetzen festgestellt.
Dagegen ist die Idee des unendlichen Wesens aller der Züge, die
sonst ein unmittelbares Verhältnis des Frommen zu ihm begründeh
hatten, entkleidet und gleichzeitig mit der Natur identifiziert worden, und
dieser Naturalismus erscheint durch die Affektenlehre und die mit Hobbes
im Grundgedanken übereinstimmende naturalistische Konstruktion der
Hesellschaft noch verstärkt. Mußte nicht die Mystik, in die das System
ausläuft, als ein seltsamer, widerspruchsvoller Rest einer lebensvolleren
Frömmigkeit erscheinen? Indes würde, wer in dies (zeitgenössische) Ur—⸗
teil einstimmen wollte, übersehen, daß Spinoza an der Unendlichkeit
wie an der Geistigkeit der einzigen Substanz, die er anerkannt, in voller
Strenge festhält und ihr ein bewußtes Denken, d. h. die Idee ihres
eignen Wesens, wie all dessen, was aus diesem Wesen notwendig folgt,
beilegtess), daß er ferner, im Gegensatz zu Hobbes aber mit Descartes,
dem menschlichen Geiste ein wirkliches, ob auch unvollständiges Wissen
um das unendliche Wesen zuschreibtesso). Solches Wissen aber gilt ihm als
eine Befreiung von dem Mechanismus der Affekte wie der Gesellschaft
in der Sphäre reiner Innerlichkeit. Damit ist verständlich, daß er die
Keligion, deren Siel nicht Erkenntnis, sondern Frömmigkeit und Gehor—⸗
sam sei, nicht verachtet wie Hobbes, sondern vielmehr für das höchste
erachtet. Ob und inwieweit eine so grundsätzliche Umstimmung der Fröm⸗
migkeit, wie sie auf dem Boden der Spinozistischen Gesamtanschauung
erfolgen soll, wirklich notwendig oder auch nur möglich ist, steht jetzt
nicht zur Frage, aber sicher ist, daß Spinoza selbst eine Umbildung,
nicht eine Ertötung der Frömmigkeit beabsichtigt.
Spinoza ist, wenn auch sein theologisch-politischer Traktat das Auf—
sehn der Zeitgenossen erregte, mit seiner eigentümlichen Gesamtauffas⸗
sung erst ein Jahrhundert später wirksam geworden, von seinen Zeit—⸗
genossen, und gerade auch den bedeutendsten und vorurteilsfreiesten wie
CLeibniz und Bayle, nachdrücklich abgelehnt worden. Eine prinzipielle Be—
streitung des Wunderglaubens wie überhaupt des Supranaturalismus
in seinem Sinne begegnet erstmals wieder bei Peter Annet?ꝰo), dann bei
holbach. hat Spinoza in seiner Eigenart unmittelbar so gut wie gar
nicht gewirkt, so der „schreckliche“' Hobbes nur langsam und wie aus
dem Verborgenen; nicht einmal Locke, der in wichtigen Punkten mit ihm
übereinkommt, weist auf ihn zurück. Nur Descartes hat von vornherein
für seine neue Methode und seine Metaphnsik einen größeren Kreis ge—
28) II pr. 3, vgl. pr. 43 Schol. 280) J pr. 8, Schol.
280) Supernaturls examined 1747; vgl. Troeltsch, R.E. 4, 546 51. 4 ff.
Titius. Natur und Gott. 16