Full text: Natur und Gott

268 Wissenschaftl. u. relig. Naturanschauung i. d. Geschichte. 
diesen Knoten entspringenden blattähnlichen Gebilde tragen; sie schließt 
aber mit der Blüte und dem Samen, die ebenfalls blattähnlichen Ur— 
sprung besitzen. In der Tierwelt ist es nicht anders. Die Raupe, der 
Bandwurm geht von Knoten zu Rnoten und bildet zuletzt einen Kopf; bei 
den höher stehenden Tieren und dem Menschen sind es die Wirbelknochen, 
die sich anfügen und anfügen und mit dem Kopfe abschließen, in welchem 
sich die Kräfte konzentrierensse). So geht durch sämtliche organische Ge⸗ 
schöpfe ein allgemeiner Typus, ein bildhaft gedachtes Gesetz ihrer Meta⸗ 
morphosen hindurch, „ein Urbild, wo nicht den Sinnen, doch dem Geiste 
darzustellen“, in welchem sich alles Leben bewegen muß, während es 
die abgeschlossene Grenze immerfort zu durchbrechen strebt. 
Die Anregung zu solchen Variationen stammt vornehmlich von den 
einwirkenden Dingen, Licht, Luft, Sonne und Boden bei den Pflanzen, 
Klima, Berghöhe, Wärme und Kälte, Wasser bzw. Luft usw. beim Tiere. 
Das Lebendige hat die Gabe, sich diesen vielfältigen Einflüssen zu be— 
quemen und doch eine gewisse errungene, entschiedene Selbständigkeit 
nicht aufzugebenẽss). Wichtiger als alle äußeren Einflüsse sind daher 
für Goethe die innern Bildungskräfte. Unter diesen steht voran das Ge— 
setz von der Korrelation der Teile, das er schon vor Cuvier ausge— 
prochen hates) und das bei ihm nicht nur gesetzmäßige Wechselwirkungen 
zwischen den Teilen des Organismus enthält, sondern auch jedem Teile 
die Kichtung vorschreibt und jede Ausschweifung bändigt oder sanktio— 
niertess). Goethe nimmt an, daß jedes Tier bei seiner Entwicklung eine 
bestimmte unveränderliche Summe von Entwicklungsmöglichkeiten mit⸗ 
bekomme, so daß jeder vermehrte Aufwand an einer Körperstelle an einer 
andern eingespart werden müsse, z. B. die gleichzeitige Ausbildung der 
vollständigen Zahnreihe und eines Geweihes unmöglich sei. Ist durch 
das Gesetz der Korrelation die Harmonie der Glieder zum Sinne des Tie— 
res und zu seinem Bedürfnis gesichert, so erweist sich der Zusammenhang 
zwischen Form und Funktion, den er in dem Rnochenbau der Säugetiere 
verfolgt hat, als leitender Gedanke zum Verständnis der tierischen Form— 
verschiedenheit. „Also bestimmt die Gestalt die CLebensweise des Tieres, 
und die Weise, zu leben, sie wirkt auf alle Gestalten mächtig zurücksse)“. 
Darüber hinaus nimmt Goethe einen innern Drang jedes Typus an, 
möglichst viel verschiedene Formen hervorzubringen; eine innere Span— 
s382) Ebenda«s. 443 f. Vgl. Morphologie DV. Teil, am Anfange. 
a388) W. I 11 5. 156. 
384) Magnus a. a. O. S. 134. 288) Eckermann S. 691. 
a86) Vgl. die „Metamorphose der Tiere“, W. J 3, 90. 
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