434 Das Leben und seine Sormen.
verschiedenen typischen Formen und Strukturen der Lebewesen, zumal
bei der weichen, kolloidalen Beschaffenheit des Bildungsmaterials, ohne
eine erhebliche Anzahl von vornherein festgelegter, die Entwicklung „de—
terminierender“ Faktoren nicht denkbar ist. Auch die von allen Organis—
men bei Störungen in größerem oder geringerem Umfange betätigte
„gestaltende Selbstregulation“ weist auf solche determinierende Faktoren
hin. Ebenso undurchführbar ist eine rein neo-evolutionistische Auffassung
der Entwicklung. Schon der Ausgangspunkt, die Kopulation zweier Ge—
schlechtszellen, spricht dagegen, da ja die Anlagen derselben nicht auf
einander abgepaßt sind, ihre Kombination aber zu neuen Mannigfaltig—
keiten führen kann. Auch zeigen zahlreiche Experimente die Möglich—
keit von mancherlei Umbildungen und Neubildungen, die zweifellos im
Ei noch nicht determiniert waren; die Bildungs potenz der einzelnen
Zelle ist vielfach größer, als sie im gewöhnlichen CLaufe der Dinge (in
der „Norm“) zu erweisen Gelegenheit und Nötigung findet. Auch alle
„funktionellen“ Anpassungen, in denen geänderter Gebrauch neue For—
men schafft, sind epigenetische Produkte. In Wirklichkeit erweist
sich also Entwicklung als eine Kombination von Evolu—
tion und Epigenesis, als „Umbildung von Mannigfal—
tigkeit, verbunden mit Vermehrung der Mannigfal—
tigkeit“. Welcher der beiden Faktoren vorherrschend ist, wird sich
schwer sagen lassen. Immerhin läßt sich vermuten, daß die Bedeutung
der Epigenesis im Laufe der Entwicklung zunimmt, weil die Wechsel⸗
wirkung der Zellen und ihre gegenseitige Anpassung im Verhältnis zum
Wachstum zunimmt; auch ist die Gefahr einer Entwicklungshemmung,
die bei weitgehender Neubildung droht, gegen den Abschluß der Ent—
wicklung hin geringer.
In den einzelnen Entwicklungsphasen die epigenetische und evolu—
tionistische Seite genau zu trennen, ist, wie man sieht, ein sehr schwie—
riges, um nicht zu sagen, hoffnungsloses Problem. Dagegen eröffnet
sich Aussicht, wenigstens zu Teillösungen zu gelangen, wenn man von
den innern „determinierenden“ Faktoren die äußern „realisierenden“,
welche Voraussetzungen für das Zustandekommen des Entwicklungspro—
zesses bilden, zu sondern versucht; sofern diesen Faktoren zugleich ein
Einfluß auf die Kichtung der Entwicklung zukommt, wären die Verän—
derungen natürlich als epigenetische zu beurteilen. Die „innern“ Fak—
toren kann man dann in solche des Zellkerns und des Zellplasmas tren⸗
nen und ihr Verhältnis zu Evolution und Epigenesis untersuchen; da—
neben kommen endlich die Wechselwirkungen der Zellen, Gewebe und
Organe des werdenden Organismus in Betracht, die offenbar, da sie