446 Das Leben und seine Formen.
KRindern bewirkt, Idioplasma, so muß dieses offenbar, da es für jede
Art verschieden zu denken ist, eine höchst komplizierte Struktur, eine
unser Erkenntnisvermögen weit übersteigende „mizellare“ Organisa—
tiones) besitzen, doch ist auf genauere Vorstellungen, die rein hypothe—
tisch bleiben würden, zu verzichten. Hertwigs Grundannahme geht nun
dahin, daß das Idioplasma im Kerne und zwar in jedem Kerne des
gesamten Organismus eingeschlossen sei. Die Differenzierung in Ge—
webs⸗ und Organzellen betrifft nur gleichsam die Oberfläche, läßt aber
die innern Potenzen unverändert. Wie man sieht, ist hier die Annahme
einer durch ungleiche Teilung der Erbanlagen entstandenen Spezifität
der Zellen fallen gelassen und wird mit der neueren Erkenntnis der
Regenerationsvorgänge unvereinbar befunden. Ebenso kommt die Hypo—
these einer dauernden Isolierung der elterlichen und urelterlichen Keim—
plasmen voneinander und von den Sellkernplasmen in Fortfall und ent⸗
sprechend ermäßigen sich die Anforderungen an die Struktur des Keim—
plasmas. HAuch ein besonderer, die Ontogenese in ihren Einzelstadien
streng präformierender Mechanismus (der mit dem Ergebnis der experi—
mentellen Beeinflussung der Furchungszellen unvereinbar wäre) er—
übrigt sich.
Anstelle aller dieser komplizierten Annahmen tritt der Hinweis auf
die unendlich verwickelten Wirkungen, welche die im Laufe der Onto—
genese immer zahlreicher werdenden elementaren Lebenseinheiten auf—
einander ausüben; insbesondere werden sie durch ihre räumlich—-zeitliche
Stellung im Wachstumsprozeß des werdenden Organismus für gewisse
Funktionen beansprucht und gewinnen so immer bestimmtere Funktionen
und immer ausgeprägtere Strukturen. Aus den hiermit gegebenen hem—
mungen erklärt sich auch, daß die Wahrung der Kontinuität des Ent—
wicklungsprozesses, ursprünglich das Eigentum einer jeden Zelle, sich
mehr und mehr auf einzelne Zellgruppen und schließlich auf die Ge—
schlechtsprodukte, auch auf sie nur während ihrer KReifezeit, einengt.
Fragt man aber, wie bei so weitgehender Ausschaltung mechanischer
Sicherungen gleichwohl die in der Erfahrung gegebene staunenswerte
Übereinstimmung in den Lebensformen der neuen mit der alten Gene—
ration gewährleistet ist, so antwortet Hertwig mit Einführung einer
übermechanischen Potenz, die im Anschluß an Fechner und Hering als
eine Fähigkeit des Idioplasma, „Zustände des Körpers zu empfinden
und gleichsam im Gedächtnis dauernd zu bewahren“ aufgefaßt wirdeo).
Im Besitze des Erbes zahlloser Generationen entfaltet die Etzelle die er⸗
erbten Anlagen, indem sie aus inneren Ursachen und dabei in bestän⸗
8) Siehe oben S. 417. os) Allgemeine Biologie, 1909, 8. 658.