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Das Leben und seine Formen.
dreier Generationen; sie ergaben größte ühnlichkeit zwischen Müttern
und Töchtern, geringste zwischen Pätern und Söhnen, was sich sehr ein—
fach erklären würde, wenn man eine teilweise Gebundenheit der ent⸗
sprechenden Erbfaktoren an die Geschlechtschromosomen annimmt.
Daß Temperamente und besondere Eigenarten der Gefühlsreaktion
forterben, ist eine bekannte Tatsache. Im Anschluß an die zwei großen
endogenen Psychosen, die die neuere Psychiatrie aus dem verwickelten
Hewirr der individuellen Krankheitsbilder herausgearbeitet hat, das
manisch-depressive („zirkuläre“) Irresein und die Schizophrenie, deren
wichtigste Form die dementia praecox bildet, hat Kretschmer zwei haupt⸗
bonstitutionsgruppen unterschieden, die zyklothymen und die schizothymen
Temperamente, die, an sich normal, doch in ihrer Struktur den ge—
nannten Psychosen nahestehen und Ausdruck genotypischer Faktoren sind,
die auch in der extremen Anlage der Psychosen enthalten sind. Daß hier
zusammenhänge bestehen, zeigt auch eine Statistik, auf die G. Hey—
mansus) hingewiesen hat. Darnach unterliegen von den „nichtemotio—
nellen Aktiven“ weiblichen Geschlechts bloß 47 Prozent, von den „nicht—
aktiven Emotionellen“ dagegen 2829 Prozent psychischen Störungen.
Sehr viel deutlicher und besser ausgearbeitet als die hier befolgte Unter—
scheidung ist die von Kretschmer eingeführte; jedes der beiden Tempe—
ramente enthält zwei gegensätzliche Komponenten: Ausgelassenheit und
Schwerblütigkeit kommen in der zyklothymen Stimmungsproportion zu⸗
sammen und gleichen sich in einer Art von Wellenbewegung aus. Da⸗
gegen ist die schizothyme Proportion eine psychästhetische, zwischen den
Polen der Unempfindlichkeit und Überempfindlichkeit sich bewegende,
und zwar sind die Schizothymen meist überempfindlich und kühl zu—
zleich in verschiedensten Mischungsverhältnissen, und das Verhältnis
pflegt sich im Laufe des Lebens schubweise zu ändern, ohne zum Hus-
gangspunkt zurückzukehren (daher der Name, der auf die innere Ge—
spaltenheit hinweist). Einen engern Kreis bildet die epileptoide Ronsti⸗
stution, für welche die explosive Erregbarkeit charakteristisch ist. Selbst⸗
derständlich ist mit allerlei Kombinationen der Konstitutionsgruppen zu
rechnen; diese selbst aber sind aller Wahrscheinlichkeit nach auch bereits
sehr komplexe Gebilde, die aus einfacheren, selbständig forterbenden Ele—
menten bestehen; u. U. treten diese bei andern Familiengliedern
deutlich isoliert auf.
fuch die oben genannten Gruppen endogener Geisteskrankheiten
sind vererbbar. Als biologische Grundlage des zirkulären Irreseins ver⸗
1109) Psichologie der Frauen, 1910, s8. 37 nach Zeitschrift für Psychologie
Bo. 51 5. 23.