Full text: Natur und Gott

456 Das Leben und seine Formen. 
so wichtige Annahme von Stigmata d. h. Symptomen, welche in Korre— 
lation zu den verborgenen Krankheitsanlagen stehen, Entartungszeichen, 
wie Mißbildungen, Asymmetrien, Augenzittern, Ausbleiben von Keflexen 
u. dgl. Die neuere Forschung hat diese alte Annahme befestigt, indem 
sie z. B. die nicht seltene biologische Verknüpfung von Epilepsie mit 
Sprachstörung und Linkshändigkeit im gleichen Familienkreise, wie auch 
mit angeborener Taubheit, wahrscheinlich gemacht hat. Auch hat sich 
die allgemeine Annahme notwendig gemacht, daß es Erbfaktoren gibt, 
die sich gleichzeitig in mehreren Merkmalen des Phänotyps, aber auch 
solche, die sich in zwei Erbgängen nacheinander je nach den Umständen 
in verschiedenen Phänotypen auswirken können. — Mit diesen Aus— 
führungen wollen wir die so schwierige, vielfach nur vermutungsweise 
beantwortbare Frage nach der Vererbung geistiger Anlagen verlassen 
und uns zu den allgemeinen Problemen zurückwenden. 
6. die Entstehung der Arten im Lichte der Vererbungslehre. 
Die Sicherheit der experimentellen Methode hat sich darin erwiesen, 
daß man nicht nur die kompliziertesten Fälle alternativer Dererbung 
zahlenmäßig zu bewältigen, sondern auch eine große KReihe anschei— 
nender Ausnahmen in die gleiche Gesetzmäßigkeit einzuordnen und so 
eine Reihe neuer Feinheiten der Erbfaktoren aufzudecken vermochte. 
Es zeigen sich allerlei Koppelungen und Überordnungs- oder Unterord— 
nungsverhältnisse, sowie Abstoßungen zwischen Genen, so daß bei Kreu— 
zung zweier Merkmale (Dihybriden) an fluktuierende Variation erin— 
nernde Abstufungen schon in der zweiten Generation entstehen können. 
Auch kann ein und dieselbe Qualität von Merkmalen durch zwei oder 
drei selbständige spaltende Gene repräsentiert werden, deren Wirkung 
sich in gewissen Fällen summiert. So wird die Multiformität der neuen 
Generation immer feiner abgestuft und nimmt ganz den Charakter einer 
kontinuierlichen, durch äußere Einflüsse entstehenden Modifikationsreihe 
an. Je gesicherter diese Ergebnisse sind, desto gewichtiger wird das 
hauptresultat dieser Forschung, worin sie mit der Variationsforschung 
der reinen Linien zusammentrifft, die Feststellung der „weitgehenden 
Unabhängigkeit und enormen Unbeeinflußbarkeit des Germinalteils 
durch den Personalteil bei aller offenbaren Wesenseinheit zwischen soma— 
tischen Zellen und Gameten“ (Cang). Diese AUtonomie der Erb— 
einheiten aber führt notwendig zu der Annahme, daß neue Typen 
nur stoßweise entstehen. Damit liefert die neue Erblichkeitsforschung 
eine exakte Begründung der Mutationslehre von de Vries, der als 
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