Das Leben und seine Formen.
tieren sind stets Reduktionen der ursprünglichen Grundzahl von 44
Zähnen, aber zugleich Anpassungen an die Lebensweise der Pflanzen—
fresser, Kaubtiere usw. Auch sonst hat die Forschung eine große Zahl
von Umgestaltungen des Skeletts, insbesondere der Extremitäten zusam—
mengestellt, die sich als bestimmt gerichtete Reihen funktio—
neller Entwicklung darstellen, so in der schrittweisen Ausbildung
der Flosse der Lungenfische, in der Verkümmerung des Beckens der See—
kühe (Sirenen), in der Umformung der ursprünglichen fünfzehigen
Extremität und des Gebisses in einer Reihe pferdähnlicher Huftiere
(Equiden); stets sind die DPeränderungen bei symmetrischen Tieren sym—
metrische. Man darf diese funktionellen Reihen nicht mit genealogischen
verwechseln, aber von den Reihen morphologischer Systematik sind sie
dadurch unterschieden, daß diese geologischen Reihen nicht nur systema—
tisch, sondern in der tatsächlichen Zeitfolge angeordnet sind. Be—
sonders auffallend äußert sich die Spezialisation in der fortschreitenden An—
passung an eine schwimmende, laufende, grabende, springende, fliegende
Cebensweise sowie in der Bildung von Verteidigungs- und Angriffs—
waffen. Die Spezialisation kann freilich so intensiv werden, daß sie die
Gebrauchsfähigkeit hindert. Es mag vorteilhaft sein, wenn bei den Cer—
viden sich ein Geweih entwickelt, sich vergrößert und durch Fortsätze
als Waffe mit Parierstangen kompliziert; unter den geologisch jüngsten
aber führt diese Entwicklung zu Formen, die derartig schwere oder auch
verästelte Geweihe hatten, daß sie dem Träger eher lästig als von
Nutzen werden mußten. Mit dem höchst spezialisierten Typ pflegt daher
eine Familie zu erlöschen. In der Regel ist die eingeschlagene
KRichtung der Spezialisierung für die ganze weitere
Entwicklung maßgebend (ollos Gesetz). Doch ist umstritten, ob
sich ein allgemeingültiges Gesetz der Nicht-Umkehrbarkeit der Entwick—
lung aufstellen läßt; jedenfalls gibt es auch Fälle, in denen die Speziali⸗
sierung durch neue Lebensbedingungen in neue Bahnen geleitet und die
bereits in bestimmter KRichtung modifizierten Organe umgestellt
werden. Ähnliches gilt hinsichtlich einer degenerativen Tendenz der Ent—⸗
wicklung; rudimentär werdende Organe werden in der Kegel nicht mehr
zu funktionsfähigen Zuständen gelangen; doch ist auch hier gegenüber
kategorischen Formulierungen Dorsicht geboten, da es sogar experimentell
gelungen ist, rudimentäre Organe wieder funktionsfähig zu machen.
Nur soviel wird man sagen dürfen, daß ein verkümmertes oder ein—
seitig spezialisertes Organ eine sichere Spur früherer Entwicklungsphasen
abgibt. Auch bei Anpassungen an neue Lebensbedingungen behält ein
Organismus stets Spuren seiner früher zurückgelegten Etappen an sich;