502 Der Mensch im Lichte der Naturwissenschaft.
dungsgliedern zwischen Klassen der Wirbellosen. Hier überall ist man
über sehr unsichere Vermutungen nicht hinausgekommen. Jedenfalls ist
der Beweis für die monophyletische Entwicklung eines Kreises oder einer
Klasse bisher nicht geführt worden; ebensowenig sind echte Mittelglieder
zwischen solchen Formenkreisen aufgewiesen.
V. Der Mensch im Lichte der Naturwissenschaft.
1. Der diluviale Mensch.
Das wichtigste biologische Problem fassen wir ins Auge, wenn wir
uns dem Menschen zuwenden. Biologie und Psychologie, Biologie und So—
ziologie, Natur- und Geschichtswissenschaften berühren sich diesem Objekt
gegenüber stärker als sonst irgendwo; insbesondere hat die religiöse Ge—
dankenbildung an der wissenschaftlichen Aufhellung der natur des Men—
schen ein lebhaftes Interesse. Zunächst bedarf es der Untersuchung über
die Anwendung der Entwicklungslehre auf den Ursprung des Menschen⸗
geschlechts. Aller wissenschaftlichen Forschung eilte die Theorie vom
„Affenmenschen“ voraus, die bis auf das 18. Jahrhundert zurückgeht.
Man sprach von Menschen mit Schwänzen, die noch keine ausgebildete
Sprache besaßen; auch der Orang-Utan ist für einen Menschen erklärt
worden, der das Sprechen noch nicht gelernt habet). Schopenhauer be⸗
zeichnete geradezu den Schimpanse als Stammvater des schwarzen, afri⸗
kanischen Menschen, d. h. der äthiopischen Rasse, den Pongo als den des
braunen, asiatischen Menschen d. h. der mongolischen Kasse, während er
den weißen, kaukasischen Menschen für eine abgeleitete, in dem källern
Klima gebleichte Kasse ansahe). Hieran erinnert es, wenn Karl Vogt in
seinen Vorlesungen über den Menschen (18603) die Ansicht vertrat, daß
die verschiedenen Rassen unabhängig von ebenso vielen Anthropoiden⸗
geschlechtern hergeleitet werden könnten. Eine wissenschaftliche Begrün—
dung suchte er dieser Annahme durch seine Untersuchungen über die
Mikrokephalen (1867) zu geben. Diese Mißbildungen, bei denen die
Kleinheit der Gehirnkapsel in erheblichem Mißverhältnis zur Körper—
größe steht, glaubte er als Hemmungsbildungen d. h. als Menschen, die
1) Nachweise bei J. H. T. Kohlbrugge, Die morphologische Abstammung des
Menschen. Aritische Studien über die neuen Hypothesen 1908. Auch KRant spielt
gelegentlich auf die hypothetische Entwicklung des Orang-Utan oder Schimpanse zu
gesellschaftlicher Kultur an (Anthropologie, hrsg. von Kirchmann, 4. Aufl. S. 260).
2) Zitiert nach Strauß, Der alte und der neue Glaube 11. Aufl. s. 202.