Full text: Natur und Gott

514 Der Mensch im Lichte der Naturwissenschaft. 
kommen. Es versteht sich von selbst, daß in einer Frage von so funda— 
mentaler Bedeutung und zugleich so enormen Schwierigkeiten und Dun— 
kelheiten der Sache selbst die Ansichten weit auseinandergehen. Wir 
wollen aber versuchen, hier wie sonst die prinzipiellen Gesichtspunkte 
vorerst zurückzustellen, um die ermittelten Tatsachen vorzuführen. Darum 
sei hier auch von einer Geschichte der Tierpsychologien) abgesehn und 
unmittelbar an den heutigen Stand der Probleme angeknüpft. In Be— 
zug auf das Bewußtsein der Tiere ist man, da sie dies (abgesehn von 
wenigen Gefühlslauten) nicht direkt zum HAusdruck bringen können, 
lediglich auf Analogieschlüsse angewiesen, deren Wert problematisch 
bleibt. Unzweifelhaft geht die Vermenschlichung der Motive unserer 
haustiere im täglichen Leben sehr weit über das erlaubte Maß hin— 
aus; mit ihnen sind wir indes wenigstens noch durch eine erhebliche 
ühnlichkeit des Zentralnervensystems verbunden, so daß hier die An— 
nahme einer gewissen Analogie guten Grund hat. Aber wo auch die 
organische Ahnlichkeit abreißt, können wir über das Innenleben der 
Tiere nur noch vage Vermutungen aufstellen. Aus diesem Grunde sind 
die neueren Tierpsychologen bestrebt, von den subjektiven Faktoren wie 
zweckbewußtsein, Empfindungen, Gefühle u. dgl. überhaupt abzusehn 
und die Aufmerksamkeit möglichst auf Unterschiede objektiver Art zu 
richten. Daß objektive Merkmale, wo es wirklich gelingt, solche zu er⸗ 
mitteln, von hohem Werte sind, ist nicht zu bestreiten. Aber wenn eine 
von Uerküll, Bethess) u. a. vertretene Schule statt psfychologischer Be— 
zeichnungen eine objektivierende Nomenklatur einführen will und nur 
für die physikochemischen Prozesse, welche eine Bewegung erzeugen, 
Interesse zeigt, so ist damit der entscheidende Gesichtspunkt verkannt. 
Gewiß kann man das Verhalten von Tieren in eine Keihe von Reak— 
tionen und Bewegungen zerlegen, auch statt der psychologischen Be— 
griffe histologische Definitionen, wie etwa die mutmaßlichen ererbten 
oder erworbenen Bahnen des Nervensystems einführen, aber die Ge— 
samtheit der Reaktionen, das Verhalten des Tieres als ein Ganzes, läßt 
sich nur als Beziehung auf eine geistige Einheit darstellen und wird 
daher beiseite geschoben. Auch kommt man auf diesem Wege der Wirk⸗ 
24) Einen (allerdings dürftigen) Abriß findet man bei H. E. Siegler, Tier— 
psiychologie [Göschen] 21, s8. 9227. Zur Tierpsychologie s. Wilh. Wundt, Vor— 
lesungen über die Menschen- u. Tierseele 6. A. 19; P. Hhachet-Souplet, Untersuchgn. 
üb. d. Psychol. d. Tiere, deutsch v. Fr. Streißler 09. Geo. Bohn, D. neue Tier— 
pschol., deutsch v. R. Thesing 12; G. Kafka, Einführg. i. d. Tierpsychol. J 14 
(bezieht sich ausschließl. auf d. wirbellosen Tiere); R. Sommer, Tierps. 25. Weitere 
Angaben s. unten. 
46) Vgl. Beer, Bethes u. Uexkülls objektive Nomenklatur i. Biol. Zentr. bl. 99. 
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