Full text: Natur und Gott

536 Der Mensch im Lichte der Naturwissenschaft. 
wegung gesetzt werden kann; willkürlich dagegen (also vom Großhirn 
aus) sind die Muskeln noch bewegungsfähig. Gestützt hierauf und auf 
eigne Versuche hat Bechterew den Schluß gezogen, daß den Sehhügeln 
eine hervorragende Bedeutung für den Ausdruck von Gefühlen und Ge— 
mütsbewegungen verschiedener Art zukomme; sie seien Bewegungszen— 
tren, durch deren Vermittlung besonders die angeborenen Husdrucksbe⸗ 
wegungen wie Lachen und Weinen unter dem Einfluß von Affekten oder 
reflektorisch auf gewisse Reize hin ausgeführt werden. Auch ein Reflerx— 
zentrum der Tränenabsonderung wird im Sehhügel lokalisiert. Was das 
mit der Schmerzempfindung eng vergesellschaftete Schmerzgefühl be— 
trifft, so hat Monakow auf Grund von Beobachtungen am kranken Men— 
schen festgestellt, daß es bei Läsionen der Großhirnrinde sich nur leicht 
gestört oder frei zeigt; er nimmt daher überall im Körper verstreute Re— 
präsentationsstellen für den Schmerz an. Auch ist ein Zentrum für die 
Erregung des sympathischen Nervensystems durch Schmerzreize im 
Zwischenhirn vermutet worden. 
Über die Lokalisation von Lust- und Unlustgefühlen ist Sicheres 
nicht bekannt. Störring““) hat die sehr annehmbar erscheinende Theorie 
entwickelt, daß Lust an den Umsatz von potentieller in aktuelle Energie 
in den zentralen Nervenzellen gebunden sei, bei übermaximaler Reizung 
aber, wo der Assimilationsvorgang eine Störung erfährt, in Unlust 
übergehe. Wenn man dieser Annahme, die wohl mindestens eine Teil— 
lösung des Problems darstellt, folgt, so würden Lust und Unlust als 
Cebensäußerungen jeder (zentralen) Nervenzelle gelten müssen, was 
natürlich ihre besondere Vertretung in besonderen Zentren ebensowenig 
wie bei irgend einer andern Funktion ausschließen würde. Als Ort der 
Leitung für die primitiven Triebe hat Flechsiges) die Formatio reticularis 
vermutet, ein großes Areal des verlängerten Marks, das anscheinend 
Verbindungen zum sympathischen Nervensystem besitzt. Immerhin wird 
man, da die sinnlichen Triebe Kombinationen gewisser, durch körperliche 
Bedürfnisse unterhaltener Empfindungszustände mit Cust oder Unluft 
sind und vielfach auch Muskelgefühle (Spannungsempfindungen) in 
sich enthalten, gegen eine derartig beschränkte Lokalisierung Bedenken 
tragen. Wenn wir alles bisher Bemerkte zusammenfassen, so dürfen 
wir trotz seines vielfach hypothetischen Charakters es als wahrscheinlich 
bezeichnen, daß selbst beim Menschen Gefühls- und Triebleben in er— 
heblichem Maße auf der Funktion niederer Zentren beruht, die in der 
Norm unter Leitung der Großhirnrinde stehen, aber unter Um— 
97) Störring, Psichologie s. 182. 
98) A. a. O. Anm. 15. 
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