Full text: Natur und Gott

554 Der Mensch im Lichte der Naturwissenschaft. 
Wortes entsteht erst allmählich, indem sich durch die Gleichzeitigkeit des 
Wortes mit einem gleichartigen sinnlichen Eindruck (oder durch sonstige 
enge und dauernde Verbindung beider) bestimmte feste Assoziationen 
zwischen ihren physiologischen Kesiduen bilden. Zum Verstehen des ge— 
sprochenen Wortes bedarf es also stets außer der Identifizierung des 
Wortklanges der Verknüpfung mit der Erinnerung an die mit ihm asso— 
ziierten Cindrücke. Auch mit dem motorischen Apparat müssen wir diese 
Kesiduen in direkter Bahn verbunden denken; wir lassen nämlich beim 
Sprechen regelmäßig die Klangbilder der von uns ausgesprochenen 
Worte nebenher (im sensorischen Zentrum) mitklingen und kontrollieren 
so, was wir sprechen. Störungen dieser Verbindung zwischen Wortbild 
und Wortsinn zeigen Verwechselung der Worte beim Sprechen und sind 
als „Paraphasie“ bekannt. Es handelt sich also beim Sprechen um über— 
aus komplizierte Vorgänge, die nach Bedarf verschiedenste Teile des 
gesamten kortikalen Apparats in Bewegung setzen; die erwähnten spe— 
ziellen SZentren vermögen einander zu schädigen, aber auch in gewissem 
Umfange zu vertreten, sind also in stetiger Wechselwirkung funktio— 
nierend zu denken. Analog kompliziert ist, wie die entsprechenden Stö⸗ 
rungen zeigen, die Innervation beim Schreiben zu denken, das allerdings 
biel stärker mechanisiert werden kann. Es können dabei außer den opti⸗ 
schen Schriftbildern mit ihren korrespondierenden kinästhetischen Vor— 
stellungen auch die akustischen Sprachbilder (nebst ihren ebenfalls eigen⸗ 
artigen Bewegungsvorstellungen) sich durch Ausfall störend bemerkbar 
machen. 
8. Die phyfsologischen vVoraussetzungen der höheren geistigen gunktionen. 
Die bisher beschriebenen motorischen und sensorischen Felder zeigen 
einen bestimmt umschriebenen, auch anatomisch wohl charakterisierten 
Aufbau, der größere Teil der Gehirnrinde ist indes durch solche nicht 
beansprucht. Diese Felder (die unter sich sehr verschiedene Zellenschich— 
tung zeigen) hat Slechsig als Assoziationszentren in Anspruch genommen. 
Es haben sich freilich die Gedanken, welche ihn dabei leiteten, nur zum 
Teil bewährt, aber eine Arbeitsteilung zwischen den sog. Projektions— 
feldern (d. h. den motorischesensorischen Bezirken) und den mit Stab— 
kranzfasern (d. h. Verbindungen zu tiefer liegenden Zentren) spärlicher 
ausgerüsteten Gebieten muß als sehr naheliegend gelten und dann muß 
ihr besonderes Arbeitsgebiet doch wohl in der weiteren Verarbeitung 
der durch die sensorischen Felder aufgefangenen Keize und in der Vor— 
bereitung der von den motorischen Feldern ausgehenden Handlungen 
erblickt werden. Der Blick auf die organische Entwicklung bestätigt diese
	        
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