Full text: Natur und Gott

556 Der Mensch im Lichte der Naturwissenschaft. 
lappens einnimmt, ein mittleres, dem das tiefliegende Kindengebiet der 
Insel zugehört und ein hinteres, das große Teile der Scheitel⸗-, Hinter— 
haupt⸗ und Schläfengegend umfaßt. In letzterem Zentrum, das bei 
geistig hochstehenden Personen fast die Hälfte des gesamten Großhirns 
einnehmen kann, lokalisiert Flechsig die Assoziation der Gesichtseindrücke 
mit den Worten an der Grenze der zweiten Occipital- und zweiten 
Schläfenwindung, die Erinnerungsbilder des Muskel- und Tastsinnes 
an der Grenze der Zentralwindung, des Gehörs im Schläfenteil, des Ge— 
sichts im Hinterhauptteil. Die verschiedenen Kegionen findet er durch 
zahlreiche Assoziationsfasern so fest verbunden, daß hier Gebietsgrenzen 
kaum zu unterscheiden seien. Nach dem Schädel Beethovens zu urteilen, 
müsse die reiche Entwicklung der Scheitelwindungen mit der musikalischen 
Veranlagung zu tun haben. Aber auch für große Gelehrte zeige sich 
diese Partie bedeutsam. Wie Rödiger schon 1882 hervorgehoben hat, 
wird durch die starke Entwicklung der obern Scheitelwindung die sog. 
„Affenspalte“ verkürzt und dies pithekoide Merkmal mehr oder weniger 
verwischt. Zurückhaltender äußert sich Flechsig über das mittlere Zen— 
trum, dem besonders die tiefgelegene Rindenzone der „Insel“ zugerechnet 
wird; sie macht ihm den Eindruck eines Zentrums, welches sämtliche 
an der Sprache beteiligten motorischen und sensiblen Kindenfelder zu 
einem einheitlichen Ganzen zusammenfügt. Dem vorderen Zentrum weist 
er die vordere hälfte der ersten und den größten Teil der zweiten Stirn— 
windung zu; möglich, aber noch nicht sicher erscheint ihm die Beziehung 
dieses Zentrums zu allen Sinnessphären, gesichert die Verbindung mit 
der Riech⸗ und der (schon von uns besprochenen) Körperfühlsphäre; nahe⸗— 
liegend erscheint ihm die Annahme, daß insbesondere die Erinnerungs⸗ 
bilder von allerhand Lust- und Unlustgefühlen, Triebregungen, Bewe— 
gungen und Handlungen, also die wesentlichsten Komponenten des Per⸗ 
sönlichkeitsbewußtseins und die wichtigsten Regulatoren für das han— 
deln, an dies Zentrum gebunden sind. Sieht man von den Randzonen zu 
den Sinneszentren ab, so erachtet Flechsig die Tätigkeit der genannten 
Sphären für eine ganz nach innen gerichtete; ihr Bau ist, gemessen an 
den Projektionszentren, ein wesentlich gleichartiger, aber völlig gleich— 
wertig sind sie keinesfalls; schon die relative Lage zu den einzelnen 
Sinneszentren bringt Besonderheiten mit sich. Erkrankung dieser Zen— 
tren „ist es vornehmlich, was geisteskrank macht; sie sind die Haupt— 
träger von dem, was wir Erfahrung, Wissen und Erkenntnis, was wir 
Grundsätze und höhere Gefühle nennen, z. T. auch die Sprache, und all 
dies Können wird mit einem Schlage hinweggefegt, wenn z. B. Gifte 
die geistigen Zentren ihrer Erregbarkeit berauben“. 
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