Full text: Natur und Gott

568 Der Mensch im Lichte der Naturwissenschaft. 
solches senkbleiartiges Absteigen der Bewußtseinszustände, dem auch ab— 
steigende Schichten im Gehirn entsprechen mögen, wird man als nicht 
unwahrscheinlich ansehen dürfen; ebenso entspricht den bisherigen Er— 
fahrungen und Theorien, daß das Ichbewußtsein erst mit der Lähmung 
aller zentralen Ganglien schwindet, also von allen hervorgebracht werden 
kann!s6). 
Es ist interessant, zu sehen, wie der genannte, phantasievolle Autor, 
Gesichertes mit mehr oder minder hypothetischem und selbst Gewagtem 
verknüpfend, ein einheitliches Bild der physiologischen Erregungsvor— 
gänge gewinnt, das zum mindestens das Verdienst hat, die noch ungelösten 
Probleme der Forschung hell zu beleuchten. Von den neuesten phnysika— 
lischen Anregungen ausgehend, löst er alles grob Materielle der ältern 
Gehirnphysiologie in Atherwirbel und rhythmische Bewegung auf und 
gewinnt, indem ihm so jede Ganglienzelle sich zur großen elektrischen 
Zentrale mit positiven (antreibenden) und negativen (hemmenden) 
Kräften gestaltet, eine aus solcher polaren Spannung sich ergebende 
Keservekraft, über die das Gehirn frei zu verfügen vermag und deren 
Sitz er in die Gangliengruppe der „Insel“ verlegt. Die Gehirnfunk 
tionen denkt er beherrscht durch den Sympathikus, an den die Ge— 
mütsregungen gebunden sind; dieser streckt seine feinsten Fasern in das 
Nervenstützgewebe der Neuroglia wie der Blutgefäße; durch den von 
Benda angeblich in der Neuroglia aufgefundenen Muskel wird der ganze 
Apparat der Stromeinstellung in Bereitschaft gesetzt, während der hem— 
mungsapparat in den Gefäßmuskeln vermutet wird; von der Ichzone 
wird diese Apparatur und damit die Reservekraft aktiviert, und nach Belie— 
ben auf Phantasieren, verstandesmäßiges Denken, Sprechen oder handeln 
eingestellt. Nicht nur große Blutleere, sondern auch Blutüberfüllung 
legt die Gehirntätigkeit still; das Bewußtsein setzt aus. Am Stadium von 
Hirnläsionen meint Schleich erkannt zu haben, daß die beiden Hemi— 
sphären neben gemeinsamen Funktionen verschiedene Amter haben; die 
linke betrachtet er überwiegend als Registrierapparat; der rechten eignet 
er besonders die Phantasietätigkeit zu und läßt sie im Dunkeln bluter— 
füllter sein als im Hellen. Doch vermag jede Hemisphäre die andre in 
sich abzuspiege'n und genau zu untersuchen. Die eigentlich logische Tätig—⸗ 
leit wird in das Vorderhirn verlegt; ohne Phantasie ist sie freilich un— 
denkbar, denn die Frage nach dem Warum läßt sich erst erheben, sofern 
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1se) Die Annahme Schleichs, daß es auf einer Spiegelung einer Gehirnhälfte 
durch die andre beruhe, also durch die Assoziationsfasern namentlich des sog. Balkens 
bedingt ist, mag als unbewiesen auf sich beruhen. 
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