Full text: Natur und Gott

572 Der religiöse Wert des naturwissenschaftlichen Weltbildes. 
Wir stellen uns also vor die Frage: Wie muten Welt und 
Mensch (in der Beleuchtung der heutigen Naturerkenntnis gesehen) den 
religiösen Menschen an; erleichtert oder erschwert sie ihm die Betrach— 
tung unter dem Gesichtspunkt der Cwigkeit und das Leben mit Gott? 
Nicht leicht wird jemand, der mit Besonnenheit den Weg der Erkenntnis 
verfolgt hat, eine runde Anwort bereit haben. Es gibt mancherlei, was 
hier verwirrend wirkt und Unsicherheit schafft. Die Wissenschaft betrachtet 
sich selbst als nichts weniger denn fertig; sie ist bereit, von Tag zu Tag 
zu lernen und ihre Anschauungen immer besser der Wirklichkeit anzu— 
passen, Irrtümliches und Veraltetes fallen zu lassen, ihre Gedanken in 
möglichster Kontinuität umzubilden; alles, was sie lehrt, ist in gewisser 
Beziehung hypothetisch gedacht, relativ und phänomenal. Religion aber 
hat keinen Sinn für das Phänomenale als solches, sie fragt ausschließ— 
lich nach der letzten, wahrhaften Wirklichkeit und ist gewöhnt, in abso— 
luten Urteilen, in „Dogmen“ zu reden. Wir sehen uns also genötigt, die 
feinen Gedankenbilder der Wissenschaft für etwas andres zu nehmen, 
als sie sich geben, sie zu absoluten Größen des gemeinen Menschenver— 
standes zu machen, um mit ihnen operieren zu können. Erst dogmati— 
sierte, ins Leben eingeführte Wissenschaft gewinnt Beziehung zur Reli— 
gion, es sei freundliche oder feindliche. Dafür erhalten wir auch die Frei— 
heit, ohne mit dem Geiste der Wissenschaft (dem jene „Dogmen“ nur 
provisorische sind) in Widerspruch zu geraten, jenen Sätzen, wo es not—⸗ 
wendig erscheint, zu widersprechen, denn wirkliches Leben vollzieht sich 
in Widerspruch und Ausgleich von Dogmen. Wir fragen also, wie die 
Welt religiös anmutet, wenn sie wirklich und restlos das ist, was heutige 
Naturforschung von ihr lehl. 
Es ist noch eine zweite Vorbemerkung zu machen. Die Wissen— 
schaft hat ihre Geschichte und demgemäß ihre Schichtenbildung zusam⸗ 
mengehöriger Gedanken. Es verhält sich hier gerade wie bei der Schür— 
fung nach Erzen oder Kohle. Man legt einen Stollen an, wo man sich 
lusbeute verspricht und treibt einen tiefern erst dann, wenn es not 
tut; nur zufällig werden dann einmal zwei Gänge ineinander münden. 
Am weitesten getrieben ist heute die Vereinheitlichung auf dem Ge— 
biete der Physik, aber selbst hier ist volle Einheitlichkeit der Betrach— 
lung auf allen Gebieten ein Desiderat der Zukunft; erst recht unein— 
heitlich, ja disparat und gelegentlich fast zusammenhanglos ist der wis—⸗ 
senschaftliche Betrieb auf anderen Gebieten. Das beruht nicht etwa nur 
auf Mangel an Methode und Zusammenschau; großenteils ist es durch 
die noch nicht bewältigte und einem größern Zusammenhang vorerst 
noch widerstrebende Eigenart des Objekts gegeben, welches besondre 
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