Full text: Natur und Gott

5760 Der religiöse Wert des naturwissenschaftlichen Weltbildes. 
tationsenergie zusammensetzt, aber ob es nur Energie ist, eine an be— 
stimmte Raumzeitverhältnisse gebundene Kraftquelle oder doneben auch 
noch „stoffliche“ Masse, das weiß man nicht, und was eigentlich Elek— 
trizität und Gravitation und „Stoff“ sind, weiß man auch nicht, so 
wenig wie man das mit Sicherheit von Raum und Zeitt sagen 
kann. Ich rede hier keineswegs im Sinne irgendeiner vielleicht stark um— 
fochtenen philosophischen Erkenntnistheorie, sondern ausschließlich von 
der bestbegründeten, von der physikalischen Wissenschaft und den in ihr 
bestehenden Problemen. Auf alle Fälle gleicht diese Wissenschaft bei 
aller fundamentalen Verschiedenheit dem religiösen Glauben darin, daß 
sie die sichtbare, sinnlich greifbare Welt auf eine auch 
den schärfsten und vollkommensten Hilfsmitteln unserer Sinnesorgane 
bisher verschlossene, nur vom Gedanken zu erfassende Wirk— 
lichkeit zurückführt. 
Don jeher hat dem religiösen Glauben die Existenz der Materie 
Schwierigkeiten gemacht. Platons Geist wußte sie mit der Idee nicht 
auszugleichen, sie nur als Widerspiel der Idee, als das Unvernünftige, 
also nicht Seiende, am wahren Sein keinen Anteil Besitzende, aufzu— 
fassen; der in der christlichen Kirche nur langsam, mindestens bis zur 
Keformation hin nie völlig, überwundene dualistische Sug hatte am Da— 
sein des vernunftlosen, trägen Stoffes stets eine kräftige Handhabe, 
wie umgekehrt der Atheismus gerade von der tatsächlichen Existenz und 
herrschaft der Materie seinen Ausgangspunkt nahm. Heute aber ist 
nicht nur der Versuch gemacht, die Trägheit der Materie völlig in 
Energie, in verhaltene Kraft, aufzulösen, sondern zugleich ist das Chao— 
tische, rein Zufällige des Stoffes einem Ebenmaß einfach aber streng 
gegliederter Bildungen gewichen. Zwar ist die Theorie noch nicht im— 
stande, aus den Möglichkeiten des Atommodells die einzelnen Stoff— 
arten und ihre Verbindungen deduktiv abzuleiten, aber wir wissen be— 
reits, daß die Grundstoffe vom Wasserstoff bis zum Uran hin nach einem 
bestimmten, zahlenmäßig erfaßbaren Bildungsgesetz fortschreiten, und 
daß es auf diesem Wege nur eine feste, in der Hauptsache bereits wohl— 
bekannte Anzahl von Grundstoffen geben kann, die sämtlich als Zusam— 
mensetzungen aus dem einfachst gebauten Grundstoff (oder aus wenigen, 
letztlich auf jenen zurückgehenden einfachen Stoffen, wie dem helium— 
gas) aufgefaßt werden können. Auch dieser einfachste Grundstoff, das 
Wasserstoffatom, trägt nichts weniger als chaotischen, ungeordneten Cha— 
ralter an sich, sondern ist, wie wir gesehen haben, geradezu der Ideal— 
fall einer einfachen und symmetrischen Struktur, die mit den geringsten 
Mitteln, einen einzigen Elektron und dem winzigsten Kern, eine große 
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