Full text: Natur und Gott

380 Der religiöse Wert des naturwissenschaftlichen Weltbildes. 
tätigkeit, auf das Gedankenexperiment; daß der Forscher auf seinem Spe⸗ 
zialgebiet sich so in die Natur zu versenken vermag, daß er in Glei— 
chungen, in geometrischen Bildern, in Bewegungsformen oder wie sonst 
ihr Geschehen nacherlebt und nicht selten gleichsam instinktiv, intuitiv die 
Cösung des Rätsels findet, das ihn lange beschäftigt hat, ist eine bekannte 
und wohlbegründete Tatsache. Immer aber sind diese Phantasiegebilde, 
die den Schlüssel zur Natur bilden, einfach, symmetrisch, unmittelbar ein— 
leuchtend, wie etwa der berühmte Kohlenstoffring des Benzols oder der 
Bau des Wasserstoffatoms. Aus der scheinbar unmittelbar einleuchtenden 
und doch erst mühsam errungenen Unmoͤglichkeit einer Arbeitsleistung 
ohne Aufwendung von Energie oder einer Heizung der Maschine durch 
die überall vorhandene Wärme (die nur auf einen Haufen zu bringen 
wäre!) oder der Nicht-⸗Feststellbarkeit eines absoluten Raumes und einer 
absoluten Zeit sind beherrschende Naturprinzipien destilliert worden. Fim 
meisten aber spricht wohl für eine innere Zusammengehörigkeit der 
atur mit dem denkenden Geiste das ursprünglich aus einer rein teleo⸗ 
logischen Betrachtung der Natur und ihrer Sparsamkeit hervorgewachsene 
Prinzip der „kleinsten Wirkung“. Dies Gesetz, in seinen Anfängen bis 
auf die Griechen zurückreichend, heute als allgemeinstes Gesetz aller Zu— 
standsänderungen anerkannt und für die neuesten Formulierungen der 
Dynamik grundlegend, spricht etwa aus, daß bei allen Zustandsände— 
rungen, vorausgesetzt, daß Energie und Stoff in ihrer Totalität unver— 
ändert bleiben, die Wirkung nur gerade so viel beträgt, als wozu die 
Ursachen zwingen, also ein Geringstmögliches (minimum) unter dem 
Gesichtspunkt der Ursachen, ein Marximum aber unter dem Gesichts⸗ 
punkt der Erhaltung des Zustandes. Es entspräche nicht dem Geiste der 
heutigen Physik, die schon längst alle Zweckursachen ausgeschaltet hat, 
wollten wir mit Leibnize) physikalische Gesetze aus einer Zweckbetrach⸗ 
tung ableiten, aber daß die höchsten Prinzipien der Natur—⸗ 
erkenntnis mit leitenden Ideen des menschlichen 
Geistes ungesucht zusammentreffen, so daß sie sich „schon 
von selbst als plausibel“ empfehlen (Gauß))), ist eine auch heute weit 
oerbreitete Uberzeugung 
Eine sehr merkwürdige Cigenschaft gerade der höchsten 
physikalischen Prinzipien der Gegenwart ist es, daß 
fie den Gedankenkreis der Mechanik, d. h. die Auflösung 
alles Geschehens in kontinuierliche Bewegungsvorgänge über— 
schreiten. Das Energieprinzip und das Prinzip der kleinsten Wir— 
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6) Oben S. 250f. 7) Oben S. 305.
	        
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