Full text: Natur und Gott

382 Der religiöse Wert des naturwissenschaftlichen Weltbildes. 
theorie versagen, so liegt es nahe anzunehmen, daß wir überhaupt 
kein Naturgesetz in endgültiger Fassung besitzen. Man 
kann nicht einmal sagen, daß die Gesetze immerhin in gewissen Grenzen 
absolut gelten. Denn sobald sie, wie vielfach deutlich wird, außerhalb 
gewisser Grenzen merklich ungenau werden, muß eine allerdings un—⸗ 
nerkliche Ungenauigkeit auch schon innerhalb jener Grenzen vorausge— 
setzt werden. Damit ergibt sich die —VD 
gesetzen, so bewundernswert sie als logische Leistungen sind und so ge— 
waltig ihre praktische Bedeutung für die Poraussage des wahrschein⸗ 
lichen Verlaufs der Naturprozesse ist, doch eine völlig genaue Beschrei— 
bung der Einzelvorgänge nicht erreicht haben, sondern nur „befrie— 
digend genaue“ Mittelwerte nach Art der Statistik. Ein Gutes jeden— 
falls ist die unmittelbare Frucht solcher Selbstbescheidung; wir erkennen, 
daß die enorme Kompliziertheit und Undurchsichtigkeit, die nicht wenigen 
empirischen Naturgesetzen anhaftet, daß diese ganze Last der bloßen, 
zufälligen Empirie kein Definitivum zu sein braucht, daß die Elementar— 
— 
all den Stempel der Einfachheit und Harmonie tragen, die Züge der 
dumpfen Verworrenheit aber auf Konto der groben Überschlagsrech— 
nung sehr komplizierter Verhältnisse kommen, also bei tieferer Einsicht 
in das Wesen der Natur verschwinden können; zu solcher Annahme be— 
rechtigen gerade die schönen Erfolge der Physik in den letzten Jahr⸗ 
zehnten. 
Wird die Selbstbescheidung, von der wir sprachen, eine dauernde 
sein müssen, das „absolut gültige“ Gesetz nur als Leitidee unseres Ver— 
tandes Wirklichkeit haben? Hierüber zu urteilen, ist mehr Sache des 
Temperaments und der Gesamtanschauung als der Forschung. In be— 
geisterten, viel zitierten Worten hat ein angesehener Vertreter der Rela— 
tivitätstheories) dem „nicht mehr verwegenen“ Glauben Ausdruck ge— 
geben, „wir seien imstande, das Wesen der physischen Welt, der Ma— 
terie und der Naturkräfte, so vollständig zu begreifen, daß sich aus dieser 
Tinsicht mit vernunftmäßiger Notwendigkeit die Gesetze eindeutig er—⸗ 
geben, welche den Ablauf der Naturvorgänge regeln“, gleichzeitig frei— 
lich der Einsicht, daß in diesen Gesetzen „der Grund der Wirklichkeit 
nicht erfaßt“, über das „inhaltlich Wesentliche“ der Wirklichkeit nichts 
ausgemacht wird. Auf allgemeine Zustimmung unter den Naturkun— 
digen dürfen diese Worte allerdings nicht rechnen, weder die Annahme, 
daß die Physik zur Geometrie, zu einer rein formalen Darstellung der 
8) Weyl, in der Schlußbetrachtung seines mehrfach genannten Buches; 
ühnlich andre. 
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