Full text: Natur und Gott

610. Der religiöse Wert des naturwissenschaftlichen Weltbildes. 
empfängt und nicht selten eine gewisse Khuthmik zeigt. Wie sich dieser 
Talbestand erklären lasse, ist strittig, der geschilderte Sachverhalt selbst 
ist allgemein anerkannt. 
HVerdeutlichen wir uns die Eigenart des Organismus noch durch 
einen Vergleich mit den chemischen Vorgängen. Auch das Atom und 
die vorhandenen Atomarten werden, wie wir sahen, heute als in sich 
gegliederte, nach einem einfachen Gesetze von einander unterschiedene 
Einheiten aufgefaßt, die eine gesetzmäßige Beharrungspotenz und Reak— 
tionsfähigkeit besitzen. Auch bestimmte Struktur besitzt, wie schon die 
Kristalle lehren, das Anorganische, wo es sich ungehemmt entfalten 
kann. Aber von diesem Strukturtyp ist der des Organischen erheblich 
unterschieden; mit den Atom- oder Molekülkräften, die den Kristall auf— 
bauen, hat er ersichtlich nichts zu tun. RKein chemisch angesehen, ist schon 
die Zelle ein bloßes Gemenge von Stoffen, und wie sich hier die im 
Gemenge vorhandenen chemischen Kräfte auswirken, wenn sie für sich 
die CLage bestimmen, zeigen die beim Tode stets eintretenden Zersetzungs— 
erscheinungen?“). Es ist also eine andre, selbstverständlich ebenfalls der 
Natur angehörige Wirkungsweise, die im Organismus vorliegt. Wir 
dürfen sie bildlich als eine höhere Potenz der schon in der Atom- und 
Kristallstruktur sich offenbarenden Energien bezeichnen, sofern hier die 
Form bei stetem Wechsel der Stoffteilchen sich aufrecht erhält und in einer 
unbegrenzt großen Zahl von Exemplaren realisiert. Trotz der Labi— 
lität des Materials ist auch die Beharrungstendenz eine sehr große, 
der Dauerhaftigkeit vieler Moleküle, wenn auch entfernt nicht der Atome 
vergleichbar; der Festigkeit der Atomstruktur gegenüber macht sich viel— 
mehr, wie die Entwicklung der Arten zeigt, eine Tendenz der Varia— 
bilität unter äußern Einflüssen wie innern Konstitutionsschwankungen 
geltend, eine Tendenz zu allseitiger Individualisierung. Während endlich 
auf dem phnysikalisch-⸗chemischen Gebiete letztlich nur Atom- und äüther⸗ 
kräfte wirksam sind, sieht es auf dem Gebiete organischen Lebens so 
aus, als ob neben Atomen und Molekülen und ütherwirkungen auch 
die Zellen und Zellverbände spontan handelnde Potenzen sind; aller⸗ 
dings ist das vielleicht nur Schein, aber dann zeigen wenigstens die 
Atome und Moleküle Zusatzkräfte und -tendenzen, von denen die theore⸗ 
tische Chemie nichts ahnt, Tendenzen, die darauf abzielen, sich als Teile 
des Organismus zu benehmen, dem sie zeitweilig angehören und zu 
seinem Bestande mitzuwirken. Sehr wahrscheinlich sieht eine solche An— 
nahme nicht aus. Darum urteilt auch in praxi jeder Forscher so, daß 
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34) Vgl. etwa Abderhalden J 452.
	        
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