684 Vaturerkenntnis u. Religion i. Lichte d. Kulturphilosophie.
fassen; doch ist die Tatsache selbst nicht nur durch die Geschichte der
Frömmigkeit, sondern auch durch die Weltgeschichte sichergestellt. Be—
kannt ist auch, in wie hohem Maße von jeher die Kultur durch eine Ver—
weltlichung, eine Ausfaugung ursprünglich rein religiöser Gedanken und
Cebensformen in ihr eigenes Blut, gestärkt und bereichert worden ist.
Doch wenden wir uns von allen Einzelausführungen dem entschei—
denden Grundgedanken zu. Das leitende Kulturinteresse geht darauf
aus, unter Voraussetzung des biologisch-wirtschaftlichen Unterbaues und
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lichen, daß die ganze Menschheit in den Wirkungskreis dieser edelsten
Kräfte hineingezogen und jedem Einzelnen die Teilnahme an ihrem Keich—
tum ermöglicht und so das „höchste Gut“ in den Grenzen der gegebenen
Möglichkeiten auf Erden verwirklicht wird. Wie stellt sich zu diesem
positiven Grundgedanken die Keligion? Platon hat bekanntlich diesen
Gedanken, allerdings in den Schranken der Antike, bejaht; die alte bud—
dhistische Tradition und das Cvangeliumu) stellen ihn hoch, lehnen aber
für die Religion jede politische Ausprägung wie auch jede rein innen—
weltliche Zielsetzung ab. Das himmelreich, das Christus verkündigt und
anbahnt, hebt die Schranken zwischen Himmel und Erde auf und bringt
so das höchste Gut definitiv und für immer herbei; doch ist die Art und
Weise, wie es anders noch als im religiösen Gemüt wirklich werden
soll, Gott allein bekannt. An diese Gedanken anknüpfend, hat Augustin
dem irdischen Weltreich der Römer das Gottesreich der Kirche gegen—
übergestellt. Die Antwort, die wir demnach auf die aufgeworfene Frage
geben können, lautet dahin, daß zwar die weltliche Kultur als Menschen—
werk nicht das höchste Gut sein kann, welches vielmehr Gott allein ver—
wirklicht, daß aber in dies höchste Gut alles eingehen wird, ja schon
jetzt von ihm mitumfaßt wird, was der vom Menschen erforderten „Ge—
rechtigkeit“, also dem sittlichen Ideal gemäß ist. Alles, was dieser höch—
sten Sphäre ethische-religiöser Idealität nicht angehört, kann zwar, weil
es „Fleisch und Blut“ ist, in den ewigen Bestand des „himmelreichs“
nicht aufgenommen werden, wohl aber dadurch, daß es sich in den Dienst
dieses höchsten Zieles stellt, „geheiligt“ d. h. als gottgewolltes Mittel
und Werkzeug anerkannt werden.
So findet in der Religion die Kultur eine Kritik, die bis in die letzte
Grundlage ihres Bestandes hinabreicht, zugleich aber die definitive Ge—
währ ihres Bestandes, die sie selbst sich nicht zu geben vermag. Denn
alle Kultur beruht auf einem „Ineinander von Natur und Geist“, das
ꝛi) Vgl. Dighanikaya a. a. O. S. 260ff., entsprechend ist die in der alten
christlichen Tradition nirgends abgewiesene Idee des Gottesstaates.