688 Naturerkenntnis u. Religion i. Lichte d. Erkenntnistheorie.
erkenntniskritischen Problemen Stellung nehmen. Huf der andern
Seite verlangt es die Lösung der Aufgabe, die wir uns gestellt haben,
an der Frage nach der Zuverlässigkeit der sog. Glaubenserkenntnis und
ihrem Verhältnis zur Sicherheit des Naturerkennens nicht vorüberzu—
gehn, denn das hieße eben, an einem fundamentalen Punkte unsere Auf—⸗
gabe nicht zu Ende führen. Damit ergibt sich als zweckmäßig, uns zu—
nächst streng auf die Analyse der Grundlagen und der Verfahrungsweisen
—
liche Erkennen begründet; auch diese Analyse soll durchaus keine vollstän—
dige sein, sondern nur die Gesichtspunkte genau bestimmen und beleuchten,
welche für einen Vergleich beider Erkenntnisweisen von Betracht sind.
Bei der Ausführung des Vergleiches beider Arten und der Feststellung
ihres Erkenntniswertes ist dann allerdings der Punkt gegeben, wo die
letzten Grundfragen einer Kritik aller Erkenntnis für uns von Bedeutung
werden und nicht mehr umgangen werden können; indes wird doch auf
solche Weise der Fragenkomplerx stark vereinfacht und zugleich der Punkt
deutlich aufgezeigt werden können, wo eine bestimmte philosophische Ent—
scheidung, die vielleicht nicht mehr demonstrierbar ist, unvermeidlich wird.
Am besten setzen wir mit einer Analnyse der religiösen Erkenntnis ein,
deren Eigenart gegenüber aller wissenschaftlichen, insbesondere der
naturwissenschaftlich-exakten sofort unverkennbar ist.
Ich beginne mit einem weitverbreiteten Mißverständnis. Wir
sprachen von der bedeutsamen Begründung, welche die Religion der Idee
der Kulturmenschheit und ihrer Güte zuteil werden läßt; mancher wird
dagegen meinen, von einer religiösen Begründung könne überhaupt
nicht die Rede sein, da vielmehr die religiösen Sätze selbst einer Begrün—
dung bedürfen. Indes liegt hier eine Verwechssung vor. Sobald es sich
etwa um eine Umwandlung religiöser Sätze in solche wissenschaftlicher
Erkenntnis handelt (vorausgesetzt einmal, daß es dergleichen geben
könne), bedarf es selbstverständlich einer wissenschaftlichen Begründung;
es sind dann also die erkenntnistheoretischen Fragen aufzuwerfen
und die bestehenden Bedenken zu lösen. Aber religiöse Sätze
erhalten als religiöse ihre Begründung auf dem Wege der KReligion und
bedürfen keiner andren, können auch nach allgemeiner Glaubensüber—
zeugung, wenn wir von einem gewissen strittigen Grenzgebiet absehen,
eine solche ihrem Wesen nach nicht erfahren. Die Religion beansprucht
also, und das ist das erste, was wir festzustellen haben, einen selbstän—
digen Weg zur „Erkenntnis“ zu besitzen. Das ist übrigens noch nichts
ihr in besonderer Weise eigenes. Denn künstlerische und sittliche Er—
fahrung und auch die des täglichen Lebens beanspruchen ebenfalls Gel—