Full text: Natur und Gott

6960 Naturerkenntnis u. Keligion i. Lichte d. Erkenntnistheorie. 
an die Menschheit gewürdigt. Wie einst die Propheten der israelitischen 
Volksgemeinde Jahwe in seinem heiligen Tempel erblickten, so schauten 
die Apostel und Seher der neuen Gemeinde ihr Haupt, den Gekreuzig— 
ten und Auferstandenen und empfingen seinen Auftrag, zu wirken bis 
an das Ende der Welt und der Seiten. 
Von dem mystischen Gotteserlebnis ist also das spezifisch christliche 
nicht nur durch seine ethischepersonale Färbung, sondern auch durch die 
stetige Kückbeziehung auf die religiöse Idealgestalt des Erlösers unterschie— 
den. Indes ist diese geschichtliche Beziehung nicht als Hhemmnis gemeint 
und empfunden — er ist nicht hier, nicht an eine geschichtliche Form ge— 
bunden, sondern ist auferstanden und ist der Christus — sondern ledig⸗ 
lich als der sichere Weg zu Gott selbst und seinem herzen. Das Christus⸗ 
erlebnis wird unmittelbar und mit innerer Notwendigkeit zum Gottes— 
erlebnis; es vollzieht sich im Glauben. Denn was im religiösen Sprach— 
gebrauch Glauben heißt, das deckt sich nicht mit einem Fürwahrhalten 
der Geschichte von Christus, noch weniger hat es etwas zu tun mit einem 
bloßen Meinen auf unsichere Indizien hin, sondern gemeint ist die leben⸗ 
dige persönliche Berührung mit Christus, ein sich immer von neuem 
wiederholendes Erleben an der in Gott ruhenden Persönlichkeit Jesu, 
wodurch diese zum lebendigen Quellpunkt unserer Gottesgemeinschaft und 
Gotteskindschaft wird. Wir können auch, ohne die biblische Auffassung 
zu verlassen, jeden echten Glauben eine Inspiration nenen, wenngleich 
sie selbstverständlich nicht mehr die Stärke der ursprünglichen, in Jesus 
Christus selbst vorhandenen Inspiration erreicht. Man kann diesen Un— 
terschied daran ermessen, daß alle ursprüngliche Inspiration ihrer selbst 
völlig gewiß ist, weil sie ganz und ohne hemmung die Seele erfüllt; 
mit dem Glauben betreten wir bereits die Niederungen des geistigen 
Cebens, denn Glauben, Zweifel und Unglauben wohnen dicht beieinander 
und können leicht ineinander überschlagen. Sehen wir aber hiervon 
ab und betrachten den Glauben als Glauben, so nimmt er an allen frü— 
her angegebenen Merkmalen der Inspiration Anteil. 
6. Die Begründung der Glaubensgewißheit. 
An den Glauben stellen wir jetzt erneut die Frage, worauf denn 
seine Sicherheit und Gewißheit beruht. Auf etwas, was sich sinnenfäl— 
lig aufdrängen oder aufnötigen könnte, kann diese Gewißheit ersichtlich 
nicht begründet sein; denn es handelt sich letztlich immer nur um den 
unsichtbaren Gott, um sein Wesen und seinen Willen, um das, was nicht 
gesehen oder gehört oder betastet, was nicht logisch erschlossen oder mathe— 
matisch berechnet werden kann. Der Glaube ist stets eine gewisse Zuver⸗
	        
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