698 Naturerkenntnis u. Religion i. Lichte d. Erkenntnistheorie.
kann mir aber auch niemand meine Überzeugung vom Guten und Schönen
nehmen. Was ich im Gewissen anerkennen muß, ist mir so gewiß wie
das eigne Leben, ist unauflöslich mit diesem verbunden und in seine Ge—
wißheit aufgenommen. Ebenso handelt es sich im religiösen Glauben
um eine unmittelbare Gewißheit, die innerlich begründet ist; auf eine
solche hat sich im Anschluß an Augustin auch Luther berufen“). Nach
dem Zeugnis der Erfahrung kann diese Gewißheit eine Innigkeit und
Spannkraft erreichen, an die keine Gewißheit wissenschaftlicher Erkennt—
nis heranreicht.
Suchen wir nach den Momenten, auf welchen diese Gewißheit mit
ihrer inneren Sicherheit ruht, so läßt sich auf die innere Gesundheit und
Freudigkeit des Glaubenslebens hinweisen, das in immer erneuten Pro—
ben des Lebens sich bewährt, auf den unerschöpflichen Reichtum an An—
regungen für Gemüt, Erkenntnis und Willen, den es besitzt, auf die Be—
ziehungen zu ewiger Pollendung und zu endgültigem heil, die es ge—
winnt. Indes an entscheidender Stelle steht doch im Glauben selbst —
nicht etwa nur für unsere Betrachtung — etwas andres, die Er kenntnis
der Wahrheit. Man verstehe uns recht; nicht auf die Mitteilung von
Wahrheiten kommt letztlich alles an, sondern auf die Gewißheit um die
Wahrheit Gottes. Schon der erfahrene Erzieher legt es nicht in erster
Cinie darauf an, den Schülern einen vorgeschriebenen Wissensstoff zuzu—
eignen, sondern durch Einführung in einen angemessenen Stoff sie zu
eigenem Nachdenken anzuregen. Mit der Mitteilung und Einprägung
religiöser Wahrheiten ist für die Mitteilung des Glaubens so lange gar
nichts getan, als sie Sache des Gedächtnisses und Verstandes bleiben.
Nicht auf Lehren, die geglaubt werden sollen, sondern auf den Glau—
ben selbst, den persönlichen Heilsglauben, kommt alles an. Auch hat mit
einer äußern formalen Autorität, etwa einer Kirchenlehre oder des
Schriftbuchstabens (so wichtig sie religionspädagogisch sein mag) die reli—
giöse Gewißheit im Prinzip nichts zu tun. Denn sollte für eine äußere
Autorität, auch wo das Wesen und das innere Recht ihrer Forderungen
unverstanden bleibt, ja wo sie im Gegensatz zur eignen Überzeugung steht,
Unterwerfung und blinder Gehorsam verlangt werden, dann müßte
Gott als Despot gedacht werden, der Willkürliches gebietet und Knechte
mit ihrer Unterwürfigkeit haben will. Dagegen ist der Gott des Evan—
geliums der sittlich volllommene Vater der Geister, der mit den Men—
schen als Personen handelt, sie in Freiheit erzieht und zu innerlich selb—
ständigen Gotteskindern machen will. Eine Autorität, die nicht an Herz,
Gewissen und Vernunft sich wendet und diese freudig an sich bindet, ist
17) Siehe oben S. 213.