742 Abschließende Ergebnisse und letzte Fragen.
theistischem Idealismus, etwa in der Art und nach dem Muster Goethes
zusammenzufassen, wobei freilich Goethes theistische Gedankenẽ) außer
Ansatz bleiben. Die Unendlichkeit der Welt, die Fülle, Schönheit und
Tiefe ihres Lebens tritt an die Stelle des Gottesgedankens und erweckt
Gefühle und Stimmungen religiöser Art. Das große Geheimnis des Le—
bens zu verehren, vor allem Wahren, Schönen und Guten sich zu beugen,
wird zum Gottesdienst des Monisten. In den Mittelpunkt seiner Ver—
ehrung aber tritt das Entwicklungsprinzip, die Idee des gesetzmäßigen
und notwendigen Aufstiegs des Lebens. Wie die Natur den Aufstieg
von niedersten bis zu höchsten Formen zeigt, so erhebt sich auch das Men—
schenleben zu immer größeren, reineren Idealen. Der Mensch selbst wird
zum Gottmenschen; Geistiges aber und Sinnliches, Stoff und Idee bil—
den eine innere Einheite). An diesem Punkte wird unverkennbar, daß
sich den rein formalen Begriffen der Wissenschaft eine Metaphnysik unter—
schiebt, die eine gewisse abgeblaßte Ahnlichkeit mit Schellings und Hart—
manns Metaphnsik der Weltgeschichte nicht verleugnet. Aber diese Um—
wandlung ist auch bei denen schon vorhanden, die von Metaphnysik und
Keligion überhaupt nichts wissen wollen. Denn sie setzen als bewiesen
voraus, daß die Wissenschaft die „dualistische“ Metaphysik der Erlösungs⸗
religion ausschließe, haben also aufgehört, den rein phänomenologischen
Charakter unserer wissenschaftlichen Naturerkenntnis zu beachten. Der
heutige Monismus ist also Metaphnsik, und wo er als solche nicht gel—
ten will, verkappte Metaphysik d. i. Dogmatismus. Im Unterschiede
zum Pantheismus früherer Seiten ist er dezidiert naturalistische Meta—
physik und daher religiös unfruchtbar; ebenso ist er mit der Wissenschaft
unverträglich, da er aus ihr eine Domäne seines naturalistischen Dogma—
tismus zu machen strebt, also sie in das überwundene metaphnsische Sta—
dium ihrer Vergangenheit zurückwirft.
Damit ist gezeigt, daß eine Identifizierung der Welt bzw. ihres
Wesens mit Gott in unlösliche Schwierigkeiten verwickelt und die Er—
lösungsreligion in ihren Grundlagen zerstören, ihr entscheidendes Er—⸗
lebnis zur Illusion herabsetzen würde. Gleichwohl müssen wir dem Pan—
theismus ein historisches Recht zugestehen in seiner Reaktion gegen den
Deismus d. h. eine Anschauung, die Gott nicht mehr über der Welt
stehen denkt, wie der alte Supranaturalismus, aber auch nicht in der
Welt, wie der Pantheismus, sondern neben der Welt. Gott ist zwar ihr
Schöpfer; aber, einmal vorhanden, läuft nun diese vollkommenste aller
Maschinen ohne weiteres Zutun, erhält sich durch ihre eigne Voll—
9 Oben s. 271-273.
s) Vgl. meine Darstellung des „Bremer Radikalismus“ '08.