756 Abschließende Ergebnisse und letzte Fragen.
Menschheit immer von neuem den Eindruck, daß Gott durch eine un—
erhörte und nie zu erwartende freie Gnadentat den Abgrund überbrückt,
die Schuld getilgt, die Sünde innerlich überwunden hat, und daß er
seine intime Beziehung auf jeden Sünder, der Buße tut, durch freie
Entschließung betätigt. Die Absolutheit Gottes wird man dagegen nicht
ausspielen können; denn sollte es des Absoluten nicht würdig sein, mit
unendlicher Wucht an jedem Einzelpunkte die Entwicklung schöpferisch
zu gestalten? Wenn religiöses Leben in der unmittelbaren und persön—
lichen Beziehung jedes Einzelnen zum ewigen Gute selbst besteht, und
wenn es wahr ist, daß Gott jeder Seele näher steht als ihr vertrautester
Freund (was aus Gottes Absolutheit mit Notwendigkeit folgt), so muß
auch Gott jedem Einzelnen gegenüber sich persönlich und frei bestimmen
und ihm mit ganz individuell gestalteter Liebe begegnen. Dem Inner⸗
sten der Persönlichkeit kann nie das unpersönliche Gesetz, sondern nur die
absolute Persönlichkeit kongenial sein. In diesem Sachverhalt und nicht
etwa nur in fleischlicher Begehrlichkeit wurzelt auch das religiöse Para—
doxon von der Bestimmbarkeit Gottes durch das Gebet seiner Kinder. An
diesem Punkte wird freilich besonders klar, wie unzureichend und kindlich
unsere Rede von Gott ist. Aber in unserm Verkehr mit Gott können wir
gar nicht kindlich genug denken; er läßt sich nicht durch abstrakte Ge—
danken des Verstandes, sondern nur durch die Idee freier väterlicher
Liebe regeln; denn zu einem Gott, dem wir nicht Gemüt, Herz, zutrauen
dürfen, ist kein wahrhaft innerliches persönliches Verhältnis mög—
lich; er bleibt uns eben fern und macht nicht den Eindruck freier Persön—
lichkeit, sondern des Toten und Starren. Man mag noch so sehr über diese
Gedanken den Kopf schütteln, die ja freilich auch nicht an das wahre
Wesen Gottes heranreichen, aber wir behaupten, daß sie Gott selber näher
kommen als die abstrakten Begriffe unserer Denker, denn sie sind naiver
Ausdruck des Gemütes, das ihn erlebt.
Treten wir von hier aus an die Idee des Naturzusammenhanges
und Naturgesetzes heran, so ergibt sich zunächst, daß von einem Wider—
spruch des Gottesglaubens mit der Erkenntnis des natürlichen Zusam—
menhanges der Dinge keine Rede sein kann, vielmehr ist der gesamte
Naturzusammenhang mit Einschluß des Menschen und auch die Einsicht in
diesen Zusammenhang selbst als eine Schöpfung der göttlichen Allmacht zu
verstehen. Aber so wenig vollbommenste Überzeugung, daß alles Natürliche,
einschließlich unseres eignen natürlichen Lebens, in der Gesamtheit des
Naturzusammenhanges vollständig bedingt und begründet ist und innere
Gewißheit der Abhängigkeit alles Endlichen von Gott einander aus—
schließen, ebensowenig meinen sie das Gleiche. Jeder Blick auf die reli—