Full text: Natur und Gott

782 Abschließende Ergebnisse und letzte Fragen. 
und des lebendigen Gottes, der schafft, was nicht ist, d. h. des Wunders. 
Auch genügt es nicht, diesen Begriff streng auf die Sphäre des Innen— 
lebens zu beschränken, denn das Christentum ist eine rein geistige Ke— 
ligion nicht in dem Sinne, daß es den Geist in sich isolierte, sondern so, 
daß es den religiös-sittlichen Geist als letztes Ziel und als Gebieter des 
Natürlichen anerbennt. Es muß daher, wie überall, so auch im Wunder— 
gedanken nicht nur unser inneres, sondern auch das äußere Erleben in den 
Kreis der Betrachtung gezogen werden. Dies Wunder steht nicht neben 
der Natur oder geht gar gegen die Natur, aber als Zeichen Gottes ist es, 
in Natur gehüllt, gleichwohl eine Berührung mit Gott und eine Führung 
unseres Lebens durch ihn; gegenüber allem kleingläubigen Zweifel, der 
sich aus dem regelmäßigen Weltlauf ergeben könnte, hält der Glaube fest 
an Gottes unbegrenztor Macht, dem es an Mitteln und Wegen zur Ver— 
wirklichung seiner SZiele niemals fehlt. 
Diese Wege sind freilich vielfach unbegreiflich. Alle Versuche, sich 
das Problem der Theodizee durch Begrenzung der göttlichen Macht zu 
erleichtern, wie sie auch im 19. Jahrhundert hervorgetreten sind, mögen 
gut gemeint sein, aber es kann kein 3weifel bestehen, daß sie nicht nur 
den christlichen Gottesgedanken zerstören, sondern auch mit der Einheits— 
tendenz aller neueren philosophischen Spekulation in Widerspruch stehen, 
und auch durch die empirischen Wissenschaften, die vielmehr immer stren— 
ger die Einheit der Natur erweisen, in keiner Weise gestützt werden. Ein 
Gott, der mit einem bösen Prinzip sich in die herrschaft teilen oder wenig— 
tens durch den trägen und indolenten Stoff in seinen Absichten dauernd 
gehemmt würde, ist heute nicht mehr lebensfähig; der Gottes— 
glaube wird für das Weltall, wie es ist, die Verant— 
wortung übernehmen müssen und können, oder er 
wird zugrunde gehen. In der Tat hat die Erlösungsreligion 
stets sich für das göttliche Recht des Weltdaseins trotz seiner Be— 
lastung mit Sünde und Schuld, und der Schöpfungsglaube sich stets für 
das natürliche Dasein eingesetzt. Nie freilich mit dem Anspruch, eine 
völlige Rationalisierung des Daseins vollbringen zu können; oft genug 
treffen wir auch bei den Frömmsten in schweren Stunden auf völlige 
Katlosigkeit hinsichtlich des Zieles der göttlichen Heimsuchungs), wo ihnen 
nichts bleibt als demütige Ergebung in Gottes Walten. Doch überwiegt 
durchaus der freudige Dank für die gnädige Führung der Geschicke des 
Einzelnen und der Völker oder die Einsicht in die Notwendigkeit harter 
Zucht. Selbst ein Schopenhauer“) hat die zweckvolle Ordnung seines 
x) neben Hhiob und Pps. 22 Mk. 15, 34 vgl. schon den sog. babnlonischen Hiob. 
14) Werke.
	        
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