74 Bedeutung der Natur für die Religion.
giösen Vorstellung hervortreten, bald mit dem Gewittersturm, bald mit
den Lichtträgern enger verbunden und nehmen gleichsam die Eigenart
dieser Phänomene an. Auch mit andern Phänomenen, wie etwa der Mor⸗
genrötest) oder dem Regenbogenes), hat sich die religiöse Phantasie lebhaft
beschäftigt und sie mannigfach gedeutet, aber in den Mittelpunkt des
Interesses treten doch nur Erscheinungen, die für Leben und Gedeihen
des Menschen, d. i. des Landmanns, entscheidend sind.
Bezeichnend ist es, daß nicht selten die Sturm- und Gewittergötter
bis zur höchsten Stelle im Pantheon aufrücken. So gehört im alten Indien
zwar der Wind, der die Wolken jagt, nur zu den geringeren Göttern,
aber Indra, der im Gewitter gegen die feindlichen Dämonen kämpft,
die Wolkenkühe aus ihrem Gewahrsam befreit und die irdischen Kämpfer
führt, ist zum Lieblingsgott des heroischen Zeitalters geworden, während
Kudra, der „heulende“ oder „funkelnde“ Gott des Sturms oder der Blitze,
sich später zur grandiosen Gestalt des Siva auswächst. Auch der grie—
chische und der römische Himmelsgott waltet im Gewitter; Kleanthes von
Assos preist in seinem berühmten Hymnus den „zweischneidigen, feu—
rigen, ewig lebendigen Blitz“ als starken Diener des Gottes, durch dessen
Schläge alles Geschehen in der Natur bewirkt wird; „durch ihn bist du
so groß und höchster Gott im All“. Alle germanischen (wie die slawischen
und litauischen) Stämme verehrten den Donnerer, der die feindlichen
Mächte verscheucht, aber auch klares Wetter und Wachswetter gibt, als
den eigentlichen Bauerngott. In Wodan dagegen haben sich „Sturm⸗
geist und helles Himmelslicht“ zur Einheit zusammengefunden. Als
himmelsgott der Erbe Sius, als Sturmgott der Schimmelreiter, reitet
er der wilden Jagd voran, wenn die heulenden Geister der Toten im
düstern Pfeifen des nächtlichen Windes vorbeiziehen; alle Konkurrenten
aus dem Felde schlagend, immer neue Züge in sich aufnehmend, wächst
im Wikingeralter diese Gestalt zu imponierender Größe heran. In glei⸗
cher Richtung vollzieht sich der theogonische Prozeß in Babylon. Von
haus aus sind die anstürmenden Wetter, der Orkan, der grimmig am
himmel einherjagt, nur dämonischer Art, aber in AdadKamman ist
der Sturm zum göttlichen Wildstier geworden, dessen Ungestüm niemand
meistern kann. „Wenn der herr zürnt, zittert der Himmel vor ihm, wenn
Adad grollt, bebt die Erde vor ihm; große Berge strecken sich vor ihm
nieder. Bei seinem Zürnen, bei seinem Grollen, bei seinem Brüllen, bei
seinem Tosen sind die Götter des Himmels zum Himmel emporgestiegen,
87) Außer der „rosenfingrigen“ Göttin der Morgenröte vgl. hiob 38, 12ff.
88) Vgl. 3. B. Frobenius a. a. O. 131. Gloatz a. a. O. 284, 521. Gen.
9,12 ff.; über Sternschnuppen Gloatz s. 651.