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0. JOHANNSEN, TEXTILINDUSTRIE.
Durch die Bedürfnisse der Bekleidung und des täglichen Lebens wurde der
Mensch früh dazu geführt, aus den feinen faserartigen Einzelgebilden der Tier- und
Pflanzenwelt Gespinste und Gewebe herzustellen. Was aber anfangs nur rein me-
chanische Kunstfertigkeit der Hand war, führte rasch zur wirklichen bildnerischen
Kunst; denn bald erkannte der Mensch, daß diese künstlich aus formbaren Stoffen
gewonnenen Gebilde durch Zeichnung und Farbe, Phantasie und Geschmack zu
wahrhaft künstlerischen Äußerungen des menschlichen Strebens nach Ausdruck
des Schönen benützt werden könnten. Wenn auch infolge der Vergänglichkeit der
Rohstoffe aus den ältesten Zeiten nur wenig Textilgebilde auf uns gekommen sind,
so beweist dies wenige schon die große Bedeutung der textilen Künste für die kulturelle
Entwicklung der Menschheit. Vor allem aber brauchen wir nur zu sehen, wie noch auf
wenig entwickelter Kulturstufe stehende Völker Textilerzeugnisse mit den einfachsten
Mitteln fertigen, die in Arbeit und künstlerischer Durchdringung unser Entzücken
erregen. Es sei z. B. nur hingewiesen auf die Teppiche des Orients.
Bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein war alle textile Arbeit nur
mittels ziemlich einfacher Werkzeuge und mechanischer Vorrichtungen, der Hand-
spindel, des Hand- und Fußspinnrades, des einfachen Handweb- und Wirkstuhles,
ausgeübt worden. Auch die kurzfaserige Baumwolle, die die Natur in großen Massen
zu erzeugen vermag, die dem Altertum schon bekannt war und vermutlich zu Beginn
des 14. Jahrhunderts nach Deutschland kam, verstand man zunächst nicht anders zu
verarbeiten, als die viel leichter von Hand spinnbaren Langfaserstoffe des Flachses
und der Wolle. Da es aber nicht möglich war, mit den primitiven, uralten Vorrich-
tungen aus der kurzen, aber sonst so ausgezeichneten Baumwollfaser — denn die
Schwierigkeit des Handspinnens wächst umgekehrt zur Faserlänge — gleichmäßige
und feine Gespinste herzustellen, war die Baumwolle hinter den alten „klassischen“
Rohstoffen stets im Rückstand geblieben. Als dann aber gegen Ende des 18. Jahr-
hunderts das damals englische Nordamerika sich als erstklassiges Baumwolland
erwies, hat dieser Rohstoff in England einen mächtigen Impuls ausgelöst, für seine
Verarbeitung leistungsfähige Spinnvorrichtungen zu erfinden. Wenn dieser Umstand
selbstverständlich auch nicht allein zu den sich überstürzenden Erfindungen auf
textilem Gebiete in England geführt hat, so hat er doch einen großen Anteil an dem
raschen Verlauf der Erfindungsepoche auf diesem Gebiet gehabt. Wie die ganze Ent-
wicklung vor sich ging, ist in der Abteilung „Textilindustrie“ durch Originale, natur-
getreue Nachbildungen und Bilder übersichtlich dargestellt.
Der erste Raum „Gespinstfasern“ zeigt auf Wandtafeln die historische und
technische Entwicklung. Die aufeinander folgenden zahlreichen KEinzelarbeits-
gänge, die die Rohstoffe bis zum Fertiggespinst zu durchlaufen haben, sind hier,
wie auch die Rohstoffe selbst, durch übersichtlich zusammengestellte Proben veran-
schaulicht. Es sind alle Rohstoffe des Tier-, Pflanzen- und Mineralreiches (Wolle,
Haare, Seide, Flachs, Baumwolle, Asbest, Metallfäden usw.) berücksichtigt. Als Beson-
derheiten treten die Darstellung der zwanzigjährigen Versuchsergebnisse der Seiden-
raupenzucht mit Schwarzwurzelblättern von Prof. Dr. Harz in München und das
verloren gegangene, von Prof. Wilhelm von Miller (München) wiedergefundene Ver-
fahren für die Herstellung von zyprischen Goldfäden hervor. In diesem Raume
haben auch die Ersatzfaser- und Kunststoffindustrien, wie sie im Laufe der letzten
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