H. SCHNORR VON CAROLSFELD UND A. HARTMANN, SCHREIB- UND
VERVIELFÄLTIGUNGSTECHNIK.
Überblicken wir die ungeheuere Entwicklung, die sich erstreckt von den primi-
tiven Wegmarken wandernder Ur- und Naturvölkerhorden bis herauf zum modernen
Buch, bei dem Druckstoffe, Schriftsatz, Druck, Illustrationen, Einband mit Maschinen
hergestellt sind, so können wir auf allen Stufen des Schreibens und des Verviel-
fältigens des Geschriebenen den Wunsch feststellen, menschliche Gedanken von den
Schranken der Zeit und des Raumes unabhängig zu machen oder, um ein Wort
Theodor Mommsens mit leichter Abwandlung zu wiederholen: „Durch die Kunst
des Schreibens hört der Gedanke des Menschen auf, so vergänglich zu sein, wie er
selbst.“ Das Deutsche Museum will, wenn es die angedeutete Entwicklung auf-
zuzeigen sucht, nicht so sehr Erfindung und Weiterbildung der Schrift und der ein-
zelnen Schriftformen aufzeigen, als vielmehr in erster Linie deren materielle Grund-
‚agen, d.h. die beim Schreiben und Vervielfältigen gebrauchten Materialien und
Geräte und die damit betätigten technischen Vorgänge.
Zunächst sind zwei Räume der Technik des Schreibens gewidmet: Schreibgeräte
und -stoffe sowie Schrifterzeugnisse werden in zeitlich und örtlich bestimmten
Einzelsammlungen vorgeführt. Ein Kasten zeigt die tastenden Schriftversuche von
Ur- und Naturvölkern. Wir sehen hier bildliche Darstellungen von Vorgängen,
Bilderschriften, piktographische Zeichen in starkem Überwiegen gegenüber eigent-
lichen Schriftzeichen, Besitzermarken u. dgl.; Schriftträger sind hier Steine, Ge-
trauchs- und Schmuckgegenstände, Kommando- und Botenstäbe, Tierfelle, Gewebe,
Ein besonders eigenartiger Versuch ist die peruanische Knotenschrift.
Eine in sich mannigfach zusammenhängende Entwicklung läßt sich den Sonder-
zruppen der alten vorderasiatischen, altägyptischen, altgriechischen und altrömischen
Schrift unschwer entnehmen. Wir haben hier die historischen Grundlagen des heu-
tigen Schreibwesens vor uns.
Entscheidend für die Art des Schreibvorgangs und für die Wahl des Schreib-
zerätes ist der die Schrift tragende Stoff. Stein, weicher Ton, Holz und Metall,
Bast und Papyrus, Tierhaut, Gewebe und Faserpapier bedingen als Schreibgeräte
Meißel, Stempel, Messer und Griffel, Pinsel, Schreibrohr, Schreibfeder usw. Die
Völker des Altertums verwenden Inschriften auf Felswänden, Gebäudemauern,
eigens zugerichteten Steinplatten und auf Metalltafeln im täglichen öffentlichen
und privaten Gebrauch. Das Museum zeigt in Nachbildungen altägyptische Hiero-
vlyphen auf Stein, griechische und römische Stein- und Metallinschriften, darunter
den berühmten griechisch-ägyptischen Stein von Rosette, germanische Runen-
inschriften u. dgl.
Aber Stein und Metall sind spröde, nur mühsam zu bearbeitende Materialien;
sie sind nicht überall in wünschenswerter Menge zur Hand, und die auf ihnen an-
gebrachten Schriften sind meist an ihre Orte gebunden. Der Wunsch nach leicht
und in Menge herstellbaren, mühelos zu beschreibenden und gut transportablen
Schreibstoffen hat an verschiedenen Orten verschiedene Lösungen gefunden.
in Vorderasien sind die Assyrer und Babylonier darauf verfallen, ihre Keil-
schriftzeichen in weichen Ton einzugraben oder einzustempeln, der nachträglich
yehärtet wurde. Neben Abbildungen und Abgüssen von Keilschrifttontafeln besitzt
das Deutsche Museum ein auch durch seinen Inhalt wertvolles Stück im Original.
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