Wolf ist aufgesprungen, hat den Widder mit seinen Vorderpfoten um—
schlungen, wendet seinen Kopf grimmig gegen den Lehrer, der ihn mit
der Rute schlägt und zugleich mit seiner Linken an die Stirne zeigt,
als wollte er sagen: Sei doch vernünftig! Uber dem Buche sind die
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Kämpfers eingemeißelt.
Auf die Geschichte vom Isengrim, die um 1200 allgemein bekannt
war, brauchen wir hier nicht näher einzugehen. In keiner Weise ist
in diesem Bilde angedeutet, daß hier der Wolf „in Schafkleidern“ als
Heuchler (Panzer a. a. O.) auftrete; geheuchelt hat er wohl beim Ein—
kritt ins Kloster, jetzt aber gibt er sich, wie er wirklich ist, als Raub—
tier, als ungelehrigen Schüler. Das Bild war ohne Rücksicht auf
seinen besonderen Inhalt geeignet, den ersten Schulunterricht für die
ABC—-schützen darzustellen. Bilder von Schulstuben aus alter und
neuerer Zeit gibt es kaum, ohne daß der Lehrer die Rute führt. Sie
ist das Szepter der Grammatika in der Münstervorhalle, wo ihr zwei
Schüler beigesellt sind, einer, der furchtsam im Buche liest, ein anderer,
der schon halb ausgezogen, die Züchtigung erwartet. Die Schulzucht
war im Mittelalter nach unseren Begriffen unmenschlich streng und
roh. Besonders der Grammatikunterricht war sehr mühsam, gar oft
aussichtslos, denn manche Schüler ließen sich nicht bändigen und
kehrten wie junge Wölfe in die Freiheit zurück. Das Bild aus dem
Isengrim war dem Bildhauer willkommen, die Plage des Lehrers
darzustellen. Das ist es, was auch die folgenden zwei Schulbilder be—
zwecken, die schwere Arbeit des Unterrichtens hervorzuheben.
2. Die Rhetorik
Als sich der Bildhauer um ein Gleichnis der Rhetorik in seinen
Mappen und Erinnerungen umsah, fand er das überaus häufige Bild
Samsons (oder Davids) Löwenkampf. Ein Mann mit auffallend lan—
gem Haupthaar sitzt rittlings auf dem Löwen und reißt ihm mit bei—
den Händen den Rachen auf. Rechts von der Gruppe ist oben ein
Widderkopf angebracht. Die Berichte der Bibel (Richter, 14, 6 und
1. Sam. 17, 34) fließen hier in ein Bild zusammen. Samson bezeichnen
die langen Haare des Mannes, auf David läßt der Widderkopf
schließen. Die Theologie sieht in Samson, der den Löwen zZerreißt,
ebenso wie in David, der das Schaf aus dem Rachen des Löwen er—
rettet, das Vorbild Christi, der Tod und Teufel besiegt, der Hölle ihre
Opfer, der Unterwelt ihre Gefangenen entreißt. Das Bild ist zum fest—
stehenden Typus geworden für das Absteigen in die Vorhölle, die
Auferstehung und die Befreiung der „armen Seelen“. Auf textgetreue
Wiedergabe des in der Bibel erzählten Vorganges kam es dem Bild—
hauer nicht an. (Darüber ausführlich bei Panzer a. a. O.) Ob aber
hier, unmittelbar neben dem Wolfsunterricht Christus auftreten muß,
ob er hier „als der wahre David“ einladet, vor den Gefahren der
lasterhaften Welt in das Innere der Kirche zu fliehen (nach Panzer),
ist sehr fraglich; es fehlt für solche Auslegung die deutliche Anzeige.
Wolfsunterricht und Löwenkampf sind ohne Trennung an einan—
dergereiht, sie gehören irgendwie zusammen. Wir müssen prüfen, was
der Löwenkampf hier an dieser Stelle und in diesem Zusammenhange
bedeuten kann.
Betrachten wir das Bild einmal ohne Bezug auf Bibel und Be—
lege. Ein Mann öffnet einem Löwen den Rachen. Der Steinmetz
konnte diese Vorlage brauchen; der Widderkopf beirrte ihn nicht, er
rundet das Bild ab, das er wie ein vorhandenes Klische benützen
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