Redensarten hellen manche Bildrätsel auf, und wie die christliche Symbolik es
nicht verschmäht hat, antik-heidnische Themen zur Bebilderung christlicher Lehre
beizuziehen, so findet sich auch germanisches Erbgut in den Darstellungen und
in der Zeichensprache der romanischen Bauplastik. Die Hauptquelle für die Bild⸗
erklärung ist der Bilderschatz in weitestem Umkreis, die sicherste Methode ist die
Bildervergleichung, die zuverlässigsten wissenschaftlichen Belege sind die Denk—
mäler selbst. Man muß auch Beschreibungen und Zeichnungen nachprüfen.
Zuverlässiger sind Lichtbildaufnahmen; doch auch da kann zufällige Beleuchtung
mit verdeckten Schatten zu Täuschungen führen.
Dem Verfasser ist als Fehler angerechnet worden, daß er allem und jedem
bis ins Kleinste, sogar bis in das Ornament, nachgehe, um es auszudeuten. Die
Wissenschaft hat allerdings a priori Halttafeln errichtet, die das Betreten ge⸗
wisser Gebiete verbieten: „Hier ist nichts zu suchen! Hier darf nicht geforscht
werden! Für Ikonographen verbotener Weg!“ Reizt aber nicht jedes Verbot
zur Übertretung Es wäre ja viele Mühe erspart, wenn man im voraus alle
Ornamente, alles Lehngut aus dem Orient, alles, was stilisiert ist, von der Un⸗
tersuchung ausschließen dürfte als „rein dekorativ“. Man richtet aber doch die
Dekoration ein nach dem Anlaß und dem Gegenstand; darnach hat sie ihren
Sinn, heilig, traurig, festlich, auf eine Beziehung anspielend. So hat sie doch
einen Inhalt, den man ablesen kann. Stellit die Kunstwissenschaft fest, woher
diese Formen stammen, so fragt der Ikonograph, warum sie beliebt geworden
sind, in welchem Sinne sie aufgefaßt und verwendet worden sind. Sie entspre⸗
hen meist sinnreich dem Ort und Gegenstande, woran, und dem Bilde, bei dem
sie angebracht sind. Von altem und noch lebendigem Volksglauben her verstehen
wir solche Zeichen und Bilder, die einst den Holzbau vor Gefahren, die Inwoh—
ner vor Dämonen schützen, Feinde abschrecken, Segen anziehen soliten, die wil—
den Jäger, die bedrohlichen Fratzen, die Strick-, Netz⸗, Schlingen-, Kreis- und
Kreuzornamente. Die Tatsache ihres Vorhandenseins und ihrer Sinnbildlich⸗
keit läßt sich nicht mit einer lässigen Handbewegung abtun. Der JIkonograph
wird nicht aus Erklärerfreude, sondern aus Gewissenhaftigkeit sich der Mühe
unterziehen, das scheinbar Nebensächliche zu prüfen, so wie wir beim Lesen auf
edes Tüpfelchen achten, um den Inhalt richtig zu erfassen.
Infolge der Ratlosigkeit, mit der man den Skulpturen gegenüberstand, ver—
fiel man auf die Annahme einer zügellosen Zierlust und krankhaften Phantastik
der Steinmetzen auf Kosten und zum Ärger der Bauherren. Betrachtet man
aber die Bildwerke näher und erkennt man ihre Bedeutsamkeit, dann nimmt
man die mittelalterliche Bauplastik ernst; ihre Aufgabe war, das Gottes⸗
zaus zu zieren mit inhaltlich wohl überlegter und planmäßig georbneter
Zier. Da ist von blindem Spiel des Zufalls, der Willkür und Laune nicht zu
reden. Man kann von Rätseln sprechen; doch jene Auftraggeber haben nicht die
Absicht gehegt, Bilderrätsel anzubringen; sie sprachen mit damals verständlichen
Zeichen. Es gibt keine Geheimsymbolik weder der Auftraggeber noch der wan—⸗
dernden Steinmetzen. Was nur alles gemunkelt wird und — begierig abge—
schrieben! Die Bilderklärung der romanischen Bauplastik ist um ihre Glaub—⸗
würdigkeit gekommen. „Man darf mit Recht sagen, daß selten in einem Gebiete
wissenschaftlicher Arbeit so viele Fehler gemacht worden sind als in der willkür—
lich geübten Deutung mittelalterlicher Bildnerei“ (Frauendorfer). Man vergaß,
daß man die Bilder ausdeuten mußte und gebunden war an das, was sie an—
deuten. Dafür deutete man die Bilder um, damit sie in die gewollte Erklä—
rung sich einfügten. Ein Drache ist ein Drache, kein Christus, der Zentaur ist
kein Heiliger, das Schlangen nährende Weib kein Kirchenvater — trotz aller da—
für angerufenen Frömmigkeit und Naivität des christlichen Mittelalters. Und
ein Daniel, thronend zwischen zwei unglücklich wiedergegebenen Löwen, ist kein
Wuotan. Beispiele solcher Dummheiten und Geschmacksverirrungen könnten