Hunderte vorgelegt werden. Was nützte es? Sie werden abgeschrieben, gelten
als wissenschaftliche Belege. Allgemeine Sprüche, wie Sieg des guten über das
böse Prinzip, Anprangerung des unterjochten Heidentums, fördern den beson—
deren Inhalt eines Bildwerks nicht zu Tage. Viel ist gefehlt worden; schwer
ist es, eine einfache nüchterne Überseßung zur Anerkennung zu bringen.
Es ist wie beim Üübersetzen; man muß die Bilder wie Worte nach ihrem
Grundͤsinn prüfen; dann versucht man den Satz, zu dem sie gehören, abzulesen;
für manche Einzelheit ergibt sich so die richtige Bedeutung. Man muß die Bil—
der bis in die nebensächlichsten Merkmale betrachten. In Haar und Bart, Klei—
dung, Haltung, Handgebärden und Beigaben liegt die Andeutung des Inhalts.
Der Standort des Bildwerkes im oder an dem Kirchengebäude, ob im Altar—
raum, am Chorbogen, im Laienschiff, in der Vorhalle, gegen die Begräbnis—
stätte, am Portal, wo einst auch weitliche Verhandlungen, Eheschließung, Ge—
richtshandlungen stattfanden, wo die Büßer und die aus der Kirche Ausge—
schlossenen, die unehrlichen Leute und die Verurteilten am Pranger standen,
kann zur Auffindung des Bildinhaltes führen. Vorzüglich hat sich die Beach—
tung der Himmelsrichtung bewährt, deren Symbolik die Aufstellung der
Bilder fast ausnahmslos beherrscht. Aufschlußreich sind die Gegen—
überstellungen inhaltlicher Entsprechungen und Gegensätze; meistens sind
sie beiderseits an den gleichen Baugliedern angebracht. Wie follte man sich diese
Andeutungen entgehen lassen?
Wichtig sind die kunst- und baugeschichtlichen Feststellungen. Wo die ur—
sprünglich geplante Aufstellung des Bildwerkes durch Anderung der Bauaus—
führung nicht stattfand, wo die Anordnung zerrisser, wo Einzelstücke aus dem
Zusammenhang entfernt, verschleppt worden sind, da ist kaum mehr eine sichere
Deutung möglich. Manchmal sind die Bilder ausgebessert und ergänzt, oder
verwittert und abgeschliffen. Auch die damals als bekannt vorausgesetzten Bild⸗
nhalte sind oft gekürzt, mit Auslassungen dargestellt worden. Aus der Bildver—
gleichung, aus erhaltenen Zyklen und Zusammenhängen können Schlüsse auf die
Bedeutung der Eingzelstücke und Überreste gemacht werden.
Alte Symbole wurden jederzeit wieder benützt zur Verbiloͤlichung von Ge—
genwartsideen. Suchen wir aber den ursprünglichen Bildinhalt, dann müssen
wir unsere Wünsche und Einstellungen ausschalten. Auch die persönlichen Emp—
findungen des neußzeitlichen Beschauers haben keine wissenschaftliche Beweis⸗
kraft. Erzieherische Absichten rechtfertigen keine unbegründete, falsche Erklä—
rung. Nur kein gut gemeintes Gefasel! Manche Figur werden wir lächerlich fin⸗
den, manche anatomisch falsch. Die Steinmetzen wollten nicht abbilden, sondern
andeuten. „Selbst Drolerien kam Sinn und Inhalt zu“. Die Ausdeutung der
schauerlichen Gestalten am Schottentor wurde, wie Rezensenten schreiben, dem
erschütternden Eindrucke auf den Beschauer nicht gerecht; den neuzeitlichen Da—
seinsgenießer ergreifen die Vorstellungen von Weltuntergang und Weltgericht
nicht in dem Maße, wie den an eschatologische Gedanken gewöhnten mittel—
alterlichen Menschen.
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