Temperantia, Mäßigung, ist ebenso dargestellt, wie auf dem romani—
schen Tragaltar des 18. Jahrhunderts im Diözesanmuseum Augsburg:
sie gießt den Inhalt eines Gefäßes in ein anderes, sie mißt, um Üüber—
maß und Unzulänglichkeit in gleicher Gewissenhaftigkeit zu vermeiden.
Die Erklärung, sie mische Wein und Wasser, ist durch die bildliche Dar—
stellung in keiner Weise gerechtfertigt, auch bezieht sich diese Kardinal—
tugend nicht einseitig auf Temperenglerei.
Diese vier Grundtugenden werden in der mittelalterlichen Sym—
bolik mit den vier Paraͤdiesströmen in Verbindung gebracht. Am Hil—
desheimer Taufbecken, wo die Personifikationen der vier Flüsse den
Kessel tragen, sagt eine Inschrift zu den vier Tugenden, die in Rund⸗
bildern beigegeben sind: Wie die Paradiesflüsse die Welt durchströmen,
so bewässern ebenso viele Tugenden das von Sünde reine Herzß. Aus
einer gemeinsamen Gnadenquelle im himmlischen Paradiese entsprin—
gend, weisen sie im diesseitigen Leben auf den Weg zum Paradies,
machen die Seele zu einem Gnadenparadies, geleiten den Menschen zum
Himmelreich. An Grabdenkmälern sind sie sehr oft dargestellt worden
Sauer, Symbolik, S. 244/5, 2. Aufl.). Sie geben ein Charakterbild des
Verstorbenen.
Der Flußgott Lethe, der Tod
An der nördlichen dins delie folgt auf die Kardinaltugenden eine
fünfte allegorische Gestalt. Wie die übrigen sitzt sie, was nur auf die
Notwendigkeit, die Figuren in den niederen Raum einzupassen, zurück⸗
zuführen ist. Sie ist männlicher Art. Da sie den Inhalt einer Urne aus—
gießt, gleicht sie der typischen re der Flußgötter. Wir müssen
hei dieser Auffassung bleiben, es ist das Bild eines Flußgottes. Aber es
tann doch nicht ein fünfter Paradiesstrom sein.
Sicherlich auch keine erklärende Nebenfigur, die ansagen sollte, daß
die vier Kardinaltugenden zugleich die Paradiesflüsse bedeuten; das
war dem 18. Jahrhundert zu bekannt. Und dieser Flußgott sieht wirk⸗
lich nicht aus wie eine überflüssige Randbemerkung, sondern wie eine
ebenbürtige Szenenfigur, die mitzureden hat. Sie ist abgekehrt, blickt
aber zurück, und der straff gespannte Zeigfinger spricht ganz bestimmt;
Bis hierher und nicht weiter. Du wirst das Reisegiel auf Erden nicht
erreichen. Der Flußgott ist der Grenzfluß des Lebens, ist der Tod. Die
lateinische Spraͤche hat die Worte aufgenommen: leto — ich töte; letum
slethum) — der Tod. Im Uta-Evangeliar (1. Viertel des 11. Jahrh.)
agt' die das Bild des Gekreuzigten ümgebende Inschrift: . herebum
Hoölle), cosmum (Welt), loetumque (Tod und) diablum (Teufel) vicit
. Christus (hat Christus besiegt). Dante hat kaum hundert Jahre spä⸗
ter, als das Bamberger Papstgrab geschaffen wurde, die griechische Sage
hom Lethefluß dichterisch umgeforimt (Purgatorium, Fegfeuer, XRX.
und XXXI. Gesangs. Der Dichter muß zuerst der Reue Zoll entrichten,
ehe er Lethe durchschreiten darf. Beim Durchschreiten taucht ihn Mathilde
unter und läßt ihn trinken. Alles Böse wird vergessen, alles Gute wacht
auf. Sie übergibt ihn dann den „holden Vieren“, den Kardinaltugen—
den . . Da hänten wir sogar die Zusammenstellung dieser Tugenden mit
Lethe. Aus dem Lethe trinken heißt soviel wie sterben. Die Gestalt stellt
also den Tod dar, der Papst wird gemahnt, seine Fehler zu bereuen, ehe
ihm Lethe ihm das Irdische erlischt, das Ewige erwacht. Seine guten
Werke folgen ihm nach, die vier Kardinaltugenden begleiten ihn ins
vahre Paradies.
Der Tod scheidet ihn aber von seinem Reiseziel; das exklärt uns das
Bild auf der westlichen Schmalseite und dadurch wird auch erklärt, war—
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