20, 12: „Wir haben die Last und Hitze des Tages getragen,“ dann sind
Dir in der Ausdeutung nicht zu weit gegangen, wie die Zusammenfas⸗
sung lehren wird.
Die weftliche Gestalt legt die linke Hand auf das Knie, die rechte an
die Stirne, wie den Schweiß abwischend. Ein Nachlassen, Ermüden, ein
Abergang zur Ruhe, entsprechend dem westlichen Stande der Sonne,
dem Abend, der den Feiexrabend bringt, ist hier erkennbar. AÄhnlich ist
eine knieende Figur am Vorbaueingang zum Riesentor in St. Stephan
iun Wien, innen, nördlich, die den Felerabend darstellt, während ihr
Begenüber, südlich, die Naͤchtruhe, eine schlafende Gestalt, bedeutet.
Die nördliche Mittelfigur hat beide Hände auf Knie und Oberschenkel
fallen lassen; sie ruht. Die Sonne ist schlafen gegangen, es ist Nacht ge⸗
worden. Doch das Haupt ist nicht geneigt, der Mann wacht.
Die Begleitfiguren. Die Friesbilder sind Bildeinheiten. Die
Figuren beiderseits von den Nittelstücken erläutern und ergänzen den
Gesamtinhalt des Friesteils, dem sie angehören, Ein Erklaͤrungsver⸗
such, der diese Einheitlichkeit zerstören muß, ist ebenso falsch, wie wenn
die natürliche Reihenfolge um der gewollten Erklärung willen verlas⸗
sen werden muß.
Im Süd- und im Westfries erkennen wir Ziegenböcke und Geißen;
erstere, durch die Bärte gekennzeichnet, sind im Südfries; der Süden
galt als Gegend der hitzigen Leidenschaft. Wozu an Antilopen denken?
Es kommt nicht einmal darauf an, daß diese Tiere zoologisch bestimmt
wverden, es sind einfach Herdentiere gemeint. Die Zweizahl bedeutet
mmer eine unbeftunmte Mehrzahl, wenn keine Gegensätzlichkeit an—
gezeigt ist, wie Diana mit zwei Waldtieren, Daniel mit zwei Löwen,
der Hirte mit zwei Schafen, Menas mit zwei Kamelen dargestellt wird.
Diese Tiere sind in die Blockform eingezwängt, so daß sie „eigentümlich
gedrückte, fast kriechende Stellungen“ zeigen. Ein Waͤndern, Traben,
Galoppieren ist ihnen nicht zuzumuten. Die des Westbildes weiden,
trinken, eine Fortbewegung ist in ihrer Haltung nicht möglich. Im Süd—
dilde sind ihre Fußgelenke so auffällig eingeknickt, daß von einem Tra⸗
gen des Körpers, einem Stehen oder Gehen nicht geredet werden kann.
Denken wir uns die Bildfläche horizontal, dann liegen die Tiere wie
zusammengebrochen auf der Seite da. Wir stellen uns liegende Ziegen
gewohnheitsmäßig auf dem Bauche liegend vor. Der Bildhauer aber
mußte die Tiere auf s enkrechter Fläche so unterbringen, daß sie nicht zu
langgestreckt und zu niedrig werden, und daß er ihren Maßstab nicht
merklich kleiner nehmen muͤßte als bei den Tieren der Westseite. Diese
Tiere der Südseite liegen in entgegengesetzter Richtung, abgewandt von
der Miltelfigur, sie kehren sich von der grellen Mittagssonne ab, um
nicht geblendet zu werden. Die weidenden Tiere der Westseite dagegen
halten, einander folgend, die gleiche Richtung ein, was bei Herden ge⸗
vöhnlich zu beobachten ist.
Man könnte fragen, warum gerade Ziegen? Sie haben apotropũüische
Bedeutung gegen Zusei, Seuchendämonen, besonders gegen Blitzgefahr
(Fuhrmann, Das Tier in der Religion, München, 1922 Seite 61, f.).
FEinen Ziegenbock im Viehstall halten beschützt vor Unglück und Krank⸗
heiten des Viehs; über den Stalltüren wird gern ein Ziegengehörn
zufgehängt. Für den Turm gder handelt es sich um Abwendung der
Blißz- und Feursgesahr.
DeGemse. Im nördlichen Fries, östlich von der Mittelfigur, jst ein
ziegenähnliches Tier mit tleinem Kopf und eingeringelten Hörnern;
nennen wir es Gemse Keppler: Steingais, dorcon). Ihre Haltung und
6