Full text: Die geistige Botschaft romanischer Bauplastik

Vögel in Blattkronen unbedachtes Leben und Genießen, aber auch 
Selige im Paradies (Schottentor, S. 21, 40, 533). 
Am odritten Kapitell der Nordseite sitzen zwei Vögel Rücken gegen 
Rücken, aber die Köpfe einander zuwendend, ihre Schwänze werden im 
Maul einer Tierfratze zusammen gehalten; vergl. die fünfte Konsole 
am Vorbau; der Tod bedroht das Leben. 
Am vierten Kapitell bewacht ein Löwenkopf die beiderseits unter 
ihm herabgeneigten Menschenköpfe; Menschen in Todesgewalt. Die 
kleinen Köpfchen am dritten und vierten Kapitell sind ornamentale 
Häufung des Hauptmotivs. 
Das fünfte Kapitell hat in der Mitte der Blattkrone einen Men— 
schenkopf, die Blattrippen sind verziert; vielleicht ist an die Aufersteh— 
ung der Toten gedacht, die in der südlichen Kapitellreihe nicht in das 
Programm passen würde. 
Die Südseite jenseits des Eingangs redet in der Ausstattung der 
Kapitelle vom sündigen Leben in der Welt. 
Im ersten Kapitell sitzt ein Vogel über der mittleren Volute, der 
das Leben in Sorglosigkeit bedeutet, „wie in den Tagen vor der Sint— 
flut die Menschen schmausten.. bis zum Tage der Flut“ (Matth. 24,38). 
Im zweiten Kapitell ist mittinne ein bärtiger Männerkopf, im dritten 
Kapitell ein weiblicher Kopf: „Sie ehelichten und verehelichten bis zum 
Tage der Flut“ (ebenda). 
Im vierten Kapitell spreizt (statt der oberen Mittelvolutte) eine 
Teufelsgestalt (Tietze, Abb. 45) die Arme weit aus (nach den Seiten— 
voluten), er sucht alles an sich zu reißen, er ist der Geist dieser Welt. 
Im fünften Kapitell (Tietze, Abb. 51) ist anstatt der mittleren Volute 
ein männlicher Kopf mit übertrieben reich gelockten Hagren und Bart— 
partien, ein Helfer des Satans, ein Verführer (vergl. Schottentor, S,45: 
Modenarr, Gaukler, Abb. 23, aus Isen). 
Das sechste und siebente Kapitell auf beiden Seiten der Vorhalle sind 
spätere Ergänzungen (Tietze, S. 105), Kelchkapitelle ohne Bildwerke, 
ohne Andeutung und Gegenstück. Darüber ist nichts zu sagen. 
Die Bildwerkeam Kämpferfries 
Einführung. Der figurenreiche Kämpferfries wird durch den 
Domeingang in eine nördliche und eine südliche Reihe geteilt. 
Um dem Geheimnis des Bilderfrieses näher zu kommen und, da die 
literarischen Quellen schweigen, die Steine zum Reden zu bringen, ist 
es immer empfehlenswert, zu prüfsen, ob eine Rücksicht auf die Him— 
melsrichtungen aufzufinden ist, und ob zwischen den beiderseitigen 
Reihen oder den Einzelbildern derselben eine inhaltliche übereinstim— 
mung oder Gegensätzlichkeit zur Geltung kommt. Während z. B. im 
Dom zu Chur fast Stück für Stück der Kämpferreihe, nördlich (schlimm), 
südlich (gut), in gegensätzlicher Beziehung steht, ist am Wiener Riesen— 
tor keine stückweise Gegensätzlichkeit hüben und drüben vorhanden, da— 
gegen eine Gegenüberstellung des Hauptinhalts im Sinne der gegen— 
sätzlichen Bedeutung von Norden und Süden. Da diese wieder nicht 
ganz eindeutig ist, Hölle gegen Himmel, Tod gegen Leben, Gericht gegen 
Sünde stellen kann, ist näher zu beachten, welcher Ideengehalt sich be— 
merkbar macht. Ein Überblick über die Reihen — nicht der erste Anblick, 
ich habe viel Mühe und Erfahrung gebraucht — ergibt, daß die nörd— 
liche Reihe Teufel, Gerichtsaͤler, Hollendvachen enthält, die südliche 
auch nichts Gutes, wiederum Teufel, aber hier in Verkehr mit Men— 
schen. Nun kann erraten und vom Verfasser nach jahrelanger Arbeit 
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