Full text: Germanische Götter und Helden in christlicher Zeit

Die Lindwurmkämpfer der Heldensage 
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Menschen schon halb verschlungen; ein Bewaffneter eilt zu Hilfe 
herbei und bekämpft den Cindwurm. Die beiden Kirchen stehen auf 
bayerischem Stammesgebiet. Der bayerische und der ostgotische Sagen⸗ 
kreis stehen in besonderer Berührung und die Bayern hatten, wie 
schon erwähnt, auch besondere staatlich-völkische Beziehungen zu 
dem großen Gotenhelden, der sie gegen die Franken stützte. Wacker— 
nagels Deutung des Baseler Cindwurmkämpfers als Dietrich von 
Bern könnte also auch hier zutreffen. Wackernagel hat freilich für 
Basel noch eine besondere Anknüpfung in einer örtlichen Sage. 
Die Untersuchung über diese Darstellungen aus der deutschen 
Heldensage an christlichen Kirchen ist neuerdings sehr glücklich 
aufgenommen worden von Bezirksbaumeister A. Stuhlfauth in der 
Altbayerischen Monatschrift, Bd. 15, Beft 2. Borinski in dem oben 
erwähnten Vortrag vor der bayrischen Akademie der Wissenschaften 
über den gleichen Gegenstand erwähnt diesen einige Jahre vorher 
erschienenen wichtigen Beitrag zu dieser Frage nicht, ebensowenig 
wie die Ausführungen Georg Weises (vgl. sofort) über den Lind— 
wurmkämpfer am Kirchentor in Andlau im Elsaß. Stuhlfauth 
beschreibt die Michaelskirche in Altenstadt unter Beigabe vortreff— 
licher Abbildungen. Zu dem Bogenfeld mit dem CLindwurmkämpfer 
bringt er die Stelle aus der Thidreksaga, wornach Dieterich und 
sein eben gewonnener Genosse Fasolt einen von einem Flügel— 
drachen schon zur Hälfte verschlungenen Helden nach hartem Kampf 
befreien; der Befreite gibt sich nachher als Sintram, des Regin— 
bald Sohn, zu erkennen.672) 
Daß man den Lindwurmkämpfer Dieterich gerade hier darstellte, 
mag durch den Gedanken an den Drachenkampf des Erzengels ver— 
anlaßt sein. Aber der Erzengel Michael, wie Dehio vermutet, ist 
ganz sicher nicht gemeint in der Gestalt des den Cindwurm bekämp— 
fenden Ritters. Der hl. Michael als Erzengel ist, wie schon erwähnt, 
immer mit Slügeln dargestellt und fast immer in ruhiger Sieger— 
haltung, in wallendem Gewand: er führt regelmäßig die CLanze und 
sn4) Erst während der Drucklegung finde ich bei Karl Heßler, Hessische 
Landeskunde, 2. Band, 5. 607, folgende Aufzeichnung, die ich hier zu Abschn. 3, 
Untergang der alten Götter, nachtrage. „Noch eines freilich außerordentlich seltenen 
Brauchs mag hier Erwähnung geschehen, der einen tief mythologischen Hintergrund 
hat. Die Fingernägel des Kindes werden anfänglich von der Mutter abgebissen 
und sofort verbrannt; denn nach dem Mythus vom Weltuntergang wird kurz vor 
Lintritt dieses Ereignisses das aus den Vägeln Verstorbener angefertigte Totenschiff 
— Naglfar — flott. Um nun die Vollendung dieses Schiffs, also den Weltunter⸗ 
gang, möglichst hinauszuschieben, beschneidet man nicht nur die Vägel der TCoten, 
sondern vernichtet auch die Nägel der Neugeborenen, weil diese bei dem Bau des 
S„chiffes mitverwandt werden.“ 
Jung, Germanische Götter und Belden.
	        
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