Die heilige Kümmernis
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hoch (wenn auf die Spitze gestellt), 12 cimn breit und 15 ein in der
Plattenstärke, die eine roh gearbeitet, die andere gut bearbeitet,
mit geglätteter, bogenförmig zur Herzspitze laufender Kante, zweifel—
los Menschenwerk. Diesen „roten Herzen“ — schreibt Ernst Böt—
ticher — „verdankt der Rotharteshain (Rotherzenhain) seinen Namen.
Das Ruothhart, gleich Rotherz, ist altgermanisches Sinnbild (Simu-
lacrum), der Erdmutter „Artha“, Hertha, der Herzigen, unserer
lieben Frau, welcher der Ruotharteshain geweiht war. Darum
wurde auch hier der Kult verchristlicht und der „S. Maria und
dem Dienste Stee crucis“ an dieser Stelle eine Kapelle und eine
Klause erbaut, in welcher noch 1550 urkundlich ein „Rutersaltar“
gestanden hat. Aus diesem Ruotharteskult entstand in christlicher
Zeit der Herz Jesus- und Herz Mariä-Kult.“
Wenn diese Rachricht zutreffend berichtet, so wäre das freilich
auch ein sehr schönes Beispiel dafür, wie älteres und ältestes
Glaubensgut unter verändertem Namen durch Jahrtausende weiter—
lebt. „Solange ein Volk lebt, sind seine Götter unsterblich“ (Albr.
Dieterich, Untergang der antiken Religion).
„Die heidnischen Götter sind keineswegs sofort beseitigt, nach—
dem man das Christentum angenommen hat. Sehr häufig werden
die Götter von der Rirche nicht unmittelbar geleugnet, sondern
einerseits zu Dämonen und Teufeln erklärt, während man andrer—
seits Taten und Vorstellungen heidnischer Götter auf christliche
Heilige überträgt. So erhält sich das Heidentum weit länger als
es amtlich besteht. Auf dem Gebiet der niederen Mythologie ist
das natürlich in noch höherem Maße der Fall“ (Walther Schultze,
Deutsche Geschichte von der Urzeit bis zu den Karolingern, Bd. J,
5.336).
Eine halbe Wegstunde nördlich von Burghausen, dem schönen
von der alten uneinnehmbaren Wittelsbacherfestung überragten
Städtchen an der Salzach, liegt eine alte Stätte der Kümmernis—
verehrung. Es ist ein altüberlieferter Dienst, dessen Alter auch
durch die Art der Verehrung bestätigt wird; massenhafte Wachs—
gaben auf Grund Gelsbnisses, hauptsächlich Kühe und Pferde,
aber auch Kinder, gestielte Augen, einzelne menschliche Glieder,
sind von Gläubigen aufgehängt. Unmittelbare Urkunden in Gestalt
älterer Denkmale enthält die 1864 neu gebaute und geweihte Kapelle
nicht. Aber hundert Schritte nordöstlich von der Kapelle, im Walde,
liegt der sogenannte Heidenstein; ein sehr beredtes Zeugnis, daß
diese jetzt christliche Verehrungsstätte der Kümmerniskapelle schon
in vorchristlicher Zeit eine Stätte der Gottesverehrung war. Auch
dieser Name, Heidenstein, ist bemerkenswert; die Volksüberlieferung