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Dieser Zweifel unserer heutigen Erklärer ist nicht weiter ver—
wunderlich; um deswillen; weil die Deutungen wegen der Ver—
schiedenheit der Stämme, wegen der gegenseitigen Beeinflussung und
wegen der Slüssigkeit der Glaubensvorstellungen in jener Übergangs-
zeit schon damals nicht feststehend gewesen sein werden. Hertlein
möchte einen Fiu in dem Reiter sehen, trotz der Canze, die ausge—
sprochen die Waffe Wodans ist und nicht die des Schwertgottes SFiu.
Aber auch für den Dritten aus der germanischen Götter-Dreiheit wird
die Jupiter⸗-Gigantensäule in Anspruch genommen. Der französische
Forscher Totain sieht in dem Gigantenreiter den gegen die Riesen
kämpfenden Donar. J. Totain, Klio Bd. 2, 1902. .. . . la représen-
tation grecoromaine d'un mythe d'origine germanique:; le mvthe
c'est la lutte de Thor contre les géants.
Auf zwei uns erhaltenen Gigantensäulen trägt der Reiter einen
kleinen, runden Schild mit dem Abzeichen des vierspeichigen Rades.
Diese Beigabe hat mit dem römischen Jupiter nichts zu tun. Das
vierspeichige Sonnenrad weist vielmehr mit Bestimmtheit auf nor—
dische Sonnenverehrung hin. „Man wird“, sagt Karl Zangemeister,
Zur germanischen Mythologie, Neue Heidelberger Jahrbücher, „die
Frage ins Auge zu fassen haben, ob dieser Säulentypus vielleicht
auf eine mythologische Vorstellung der Germanen zurück—
geht“ (vgl. oben Abschnitt 6).
In der Stuttgarter Staatssammlung steht ein Abguß dieses un—
cömischsten Gigantenreiters (aus Hanau) neben dem am meisten ver—
römerten, nämlich einem Jupiter, der nicht reitet, sondern stehend im
Wagen fährt nach antiker Weise. Diese Stuttgarter Gigantensäule hat
übrigens nur noch ein einziges Schwesterstück dieser Art, nämlich bei
dem der nordische Gott sich so stark den antiken Sitten gefügt hat,
daß er im Wagen fährt statt zu reiten.
In späteren Zeiten mußten sich (vgl. unten Abschnitt 10) die
christlichen Heiligen zu Pferde setzen und ritterliche Taten verrichten,
gefangene Jungfrauen befreien und landschädliche Cindwürmer er—
schlagen, um den Deutschen zu gefallen. So hatten sich auch vorher
die römischen Götter verdeutschen müssen, oder vielmehr die römi—
schen Götter durften meist nur den Namen und ein paar Äußerlich—
keiten dazu geben. Jupiter, dessen im Kunsthandwerk nun einmal
feststehende Züge allerdings auf den Säulengott übergingen, mußte
sich gar zu Pferde setzen und Galopp reiten, was der antiken An—
schauung von der Würde und Ruhe der olympischen Götter sehr
widerspricht. „Der reitende Jupiter ist etwas unrömisches, er findet
sich auch nie auf römischen Münzen“ (Hertlein a. a. O. 5. 48). In
der griechisch-zrömischen Götterwelt reiten nur mindere Götter, wie