Full text: Germanische Götter und Helden in christlicher Zeit

1. Deutsche Denkmälerforschung als Hilfswissenschaft der 
deutschen Geschichte; besonders der Geistesgeschichte 
(Kulturgeschichte). 
Vep der der deutschen Rulturgeschichte eigentümlichen Über— 
I schätzung der schriftlichen Zeugnisse und Quellen“, spricht ein 
bekannter deutscher Altertumsforscher (Paul Clemen, Uber merowin— 
gische und karolingische Plastik, Bonner Jahrbücher, B. 92). Der 
darin liegende Vorwurf hat ganz sicher seine Berechtigung. Vielleicht 
bezeichnet er sogar eine allgemeine Schwäche des deutschen Denkens. 
Ein Amerikaner hat, jetzt im Weltkrieg, den Grund der merkwür— 
digen Überlegenheit der Deutschen in vielen Dingen und ihrer ebenso 
merkwürdigen Unterlegenheit im zweckbestimmten Handeln und in 
der Staatskunst darin gesehen, daß die Deutschen die Gewohnheit 
hätten, sich mehr aus Büchern als durch Anschauung der Dinge zu 
unterrichten. Jene Überschätzung der schriftlichen Überlieferung hat 
verursacht, daß die deutsche Altertumsforschung, die in vielen Rich— 
tungen und besonders nach der Seite der Sprachgeschichte so eifrig 
betrieben wird, eine besondere deutschmittelalterliche Denkmälerkunde 
bisher im Grunde noch gar nicht ausgebildet hat. Das Wesen der 
Denkmälerkunde als eines besonderen wissenschaftlichen Zweiges 
wird dabei so verstanden, wie sie Friedrich Köpp für die griechisch— 
römische Denkmälerforschung bestimmt; also was man bisher mit 
dem, wie Köpp mit Recht sagt, „wunderlichen und nur durch den 
Gebrauch verständlichen Namen“ Archäologie bezeichnet hat. In 
der Wissenschaft vom griechisch⸗römischen Altertum hat sich die 
Denkmälerforschung als ein besonderer Zweig der Wissenschaft gegen 
die auch dort früher alleinherrschende Sprach- und Schrifttumswissen— 
schaft durchgesetzt. In der deutschen Altertumswissenschaft ist das da— 
gegen noch nicht der Fall. 
An folgenden Beispielen sei nur kurz erläutert, wie die bisher 
so einseitig auf die schriftliche Uberlieferung gegründete Altertums— 
wissenschaft durch die Denkmälerforschung unterstützt werden kann. 
Die rätselhafte Gestalt der mannweiblichen heiligen Kümmernis oder 
Wilgefortis hat vielleicht — vielleicht — weit in die Vergangenheit 
zurückreichende Zusammenhänge mit vorchristlichen Überlieferungen.
	        
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