Die ritterlichen Heiligen
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16. Die ritterlichen Heiligen Georg, Michael und Martin.
3 KReiterheiligen ist, wie schon erwähnt, die Tübinger Stifts—
kirche geweiht. Sie liegt auf der Ostecke des Spitzbergstockes am
Neckar, an den schon mehrfach diese Betrachtungen angeknüpft haben.
In einem großen Fenster des spätgotischen Baues ist der hl. Georg
dargestellt, wie er zu Pferd mit der Lanze gegen den CLindwurm an—
rennt; links im Hintergrunde sieht man die „stets dabei auftretende
Jungfrau, welche wie Gerda und Brünhild, in anderer Fassung
Kriemhild, aus der Gewalt des Untieres befreit wird“ (Karl Sim⸗
rock, Deutsche Mythologie s. 230) oder auch „die Maiksnigin, die
aus der Gefangenschaft des Winters wiederkehrende Sonne“
Das Rünstlerische dieser Darstellung folgt einer feststehenden
Uberlieferung. Der Drachenkämpfer an der Tübinger Stiftskirche
entspricht in der ganzen Anordnung dem Ritter Georg aus dem
deutschen Heiligenbuch von 1488, dessen Holzschnitte dem Michael
Wohlgemut zugeschrieben wird
In Tübingen sind die Namensheiligen der Kirche, auch Martin, wie er seinen
Mantel für die beiden Bettler zerschneidet, ferner Maria und Georg zweimal im Maß—⸗
werk zweier hoher Kirchenfenster untergebracht. Das ist selten. Ich kann aber nicht
finden, wie Gradmann, Kunstwanderungen in Württemberg, daß das eine Entartung ist.
Es widerspricht freilich der üblichen gotischen Schulregel. Aber solchem Zwang, einem
allein gültig sein wollenden „Goüt“, den drei Einheiten des Schauspiels usw., wider⸗
strebt eben das germanische Eigenleben, der germanische Trotz, kann man sagen, der
sich, wie auf staatlichem Gebiet (9en. Chr.) und auf dem Gebiete der Glaubens—⸗
überzeugungen (1817), so auch im Kunstschaffen seine eigene Gefühlsentscheidung
nicht beschränken lassen will. Wie viel persönlicher und wärmer jedenfalls ist diese
aus menschlichen Gestalten gebildete Füllung, obwohl es hier recht handwerksmäßig
ausgeführt ist, doch als die auf die Dauer wirklich recht langweiligen, schulmäßigen
Zirkelschläge des üblichen gotischen Maßwerks.
Die überquellende Lust an bildhauerischem Schmuck, auch im gotischen Maßwerk,
scheint übrigens eine schwäbische Eigentümlichkeit zu sein; vgl. z. B. den Turmhelm
zu Rottenburg, und für frühere Zeit Faurndau. Gmünd (Jobanniskirche). Srenz,
und pielfach.
Der Drachenkampf wird erst seit dem 12. Jahrhundert zur
haupttat des syrischen Ritters Georg von Kappadozien erhoben.
Georg von Kappadozien ist geschichtlich recht schwach beglaubigt. Der
erste Papst, der ihn anerkannte als Heiligen, Gelasius i. J. 494, hat
seine Akten noch ausdrücklich als Ketzermachwerk verworfen.
Im Gegensatz zu anderen Heiligen, die, wie der heilige Alrich
und der heilige Wolfgang, auch der heilige Martin, ganz bestimmt