Full text: Germanische Götter und Helden in christlicher Zeit

Der Lanzenschwinger und Seelenführer 
19s 
schicht der Bevölkerung die germanische Oberschicht gestürzt hatte 
und deren Führerschaft in Gesittung und Lebensform. Das begann, 
wie schon gesagt, in England mit 1640 bzw. 16088; in Frankreich 1789; 
in Deutschland beginnt ähnliches 1918. 
Merkwürdig — aber in einem gewissen Sinne aufschlußreif — 
ist es, daß sich der Gallier heute noch mit dem Namen seines ger— 
manischen Besiegers, des Franken, schmückt; obwohl das für die 
Hesamtmasse der französischen Bevölkerung sicher nicht mehr be— 
rechtigt ist; die Trevirer rühmten sich, obwohl stark mit gallischem 
Blut versetzt, germanischer Abstammung, weil ihnen das für vor— 
nehmer galt als von den Galliern abzustammen. 
17. Der Lanzenschwinger und Seelenführer Wodan-Michael. 
(Der Michelsberg bei Kleebronn.) 
Gih, die Tochter des ostfälischen Grafen Hessi, der schon 775 
sich zum Christenglauben bekannt und den Franken unterworfen 
hatte, weihte nach 820 in dem Dorf Evingerode eine Kirche dem 
heiligen Michael. Der neuen Kirche dicht benachbart „lag Goden— 
husen, das alte Wuotanshaus; später ist an dieser Stelle das Kloster 
Michaelstein entstanden“ (Joh. Christ. Gottl. Schumann, Missions⸗ 
geschichte der Harzgebiete, Halle 18609, 5. 81). 
Der Ort Gudensberg in Hessen, südwestlich Kassel, liegt am 
Fuße des Odenbergs. Von ihm geht die Sage, daß dort der schnee— 
weiße Schimmel des Kaisers Karl mit dem Huf auf den Boden ge— 
stampft und aus dem Felsen so eine Quelle habe fließen machen, die 
das verschmachtende Heer gerettet habe. Der Stein mit dem Huf— 
tritt ist in die Gudensberger Kirchhofsmauer eingesetzt und noch 
heute zu sehen. Die Rirche ist dem heiligen Michael 107) geweiht. — 
Auch hier ist es durch den Namen des Orts und des Berges, durch 
das Hufwunder und den weißen Schimmel sicher, daß diese Stelle 
vorber eine Verehrungsstätte Wodans war. 
Nicht überall ist die Nachfolge Michael-Wodan so sicher bezeugt. 
Tatsächlich hat diese Nachfolge an sehr zahlreichen Stellen statt— 
gefunden. 
In dem „Mont St. Michel bei Carnac in der Bretagne, auf 
dem schon ein römischer Tempel stand und heute eine Kapelle mit 
10) Chr. Petersen, Hufeisen und Roßtrappen in ihrer mythologischen Be— 
deutung, Jahrbücher für die Landeskunde von Schleswig-Holstein, 1866, 5. 197. — 
Im Edergrund und im Fuldatal bei Rothenburg soll es Wuotansberge geben. 
Lunag, Germanische Götter und Belden.
	        
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