Full text: Germanische Götter und Helden in christlicher Zeit

Der Lanzenschwinger und Seelenführer 
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Gottesdienstes an dieser Stelle nicht untergehen zu lassen. Das ist 
wahrlich ein gewaltig beeindruckendes Beispiel für die Macht und 
die Treue der Überliefernug in der katholischen Kirche; dabei 
knüpft die Überlieferung gottesdienstlicher Handlungen an dieser 
Stelle ganz sicher noch an vorchristliche Schicksale dieses Berges 
an. Dieser Pfarrer sitzt hier, fern von allen Mitmenschen, meilen⸗ 
weit von seinen Pfarrkindern, im Grund nur deshalb, weil an 
derselben Stelle früher ein kelto-romanischer und dann ein ger— 
manischer Priester saß; weil die katholische Weihe dieses Ortes die 
bösen Geister fernhalten muß, die sonst diese ihre frühere Wohn⸗ 
stätte wieder besetzen würden. So wurde auch ursprünglich diese 
Uirche als christliche Stätte auf der steilen Anhöhe, fern von den 
Siedlungen im Tal, sicher nur deshalb hier gegründet, weil 
„die Unholde gebannt werden mußten“, die vorher an dieser 
Stätte heimisch waren. Die katholische Kirche ist unzweifelhaft die 
älteste, in ununterbrochenem Zusammenhang mit der Vergangen— 
heit bestehende gesellschaftlich⸗staatliche Einrichtung der heutigen 
europäischen Welt. Ein gut Teil der leidenschaftlichen Anhänger— 
schaft, die sie findet, ist eine, an sich sehr verständliche, aber rein 
politische, nicht religiösse Begeisterung für diese Weltmacht.110) 
Uircheneinrichtungen bergen vielfach Urkunden über urälteste Tat— 
sachen, die sonstwo keine Spur mehr hinterlassen haben. Der Vinxt⸗ 
hach bei Andernach, die römische Grenze von Ober- und Nieder— 
germanien, bildete bis zur Neueinteilung der Kirchenprovinzen im 
— nämlich zwischen Köln 
und Trier; hier hat sich also die Verwaltungseinteilung des römi— 
schen Reichs durch alle späteren staatlichen Veränderungen erhalten. 
5o lassen die Diözesangrenzen der früheren Bistümer die alemanni⸗ 
schen und baverischen Stammesgrenzen und das Vordrängen der 
Franken noch deutlich erkennen. Die Kraft des Beharrens und der 
Aberlieferung ist in kirchlichen Dingen stärker wie auf irgendeinem 
anderen Gebiet, außer vielleicht dem des Rechts. Es begegnet, 
daß zu irgendeiner gottesdienstlichen Handlung, zu der ein Messer 
benötigt ist, ein steinernes Werkzeug vorgeschrieben ist; aus uralten 
Zeiten her, die die Metallbearbeitung noch nicht beherrschten. 
Die Macht der Überlieferung ist übrigens an sich durchaus eine 
aufbauende Kraft: und wenn Mephisto in seinem Gespräch mit dem 
tuo) 1643 erschien der erste Band Acta Sanctorum der Bollandisten. Heute 
stehen sie mit dem 62. Bande beim 4. November; Heinrich Günther, Die christ⸗ 
liche Legende des Abendlandes, S. 9. — Es hat etwas Groeßartiges, diese über Zeiten 
und Räume hinwegschreitende Beharrlichkeit in der Verfolgung eines bestimmten Ziels; 
trotz aller ebenso ungeheuerlichen Gebundenheit des Einzeldenkens und entsprechenden 
Unbeweglichkeit des Geistes, die damit zugleich gegeben ist.
	        
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