Full text: Germanische Götter und Helden in christlicher Zeit

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Der Lanzenschwinger und Seelenführer 
Schüler einseitig ihre Schäden und ihre hemmende Wirkung her—⸗ 
vorhebt, so ist das ganz einfach eine bewußte Übertreibung. Denn 
sein Rat ist ja doch ein teuflischer, der den Schüler verwirren soll. 
Die örtliche Überlieferung auf dem Michaelsberg erzählt von 
einem Tempel der Luna, der an dieser Stelle angeblich gestanden 
habe. Nennenswerte Denkmale davon sind, so viel ich weiß, nicht 
gefunden worden. Eine Wabrscheinlichkeit liegt aber, wie schon 
gesagt, vor, daß an dieser Stelle schon eine keltoromanische Gott 
heit verehrt worden ist. In Magenheim, Brackenheim, beide dicht 
benachbart, sind Steinbilder jener ungefügen Art gefunden worden, 
die ohne merkliche Spur der römischen Überlieferung und des— 
gleichen ohne Zusammenhang mit der christlichen Kunstüberliefe⸗ 
rung zunächst sehr schwer unterzubringen sind, immerhin noch am 
wahrscheinlichsten dem kunstarmen (Woltmann) Reltenvolk zuge— 
schrieben werden können. 
Unmittelbarer Vorgänger des hl. Michael war aber an dieser 
Stelle wohl sicher ein germanischer Gott. 
Die Bevölkerung in diesen nördlichen Gegenden Württembergs 
ist fränkischen Stammes. Der oberste kriegerische Heilige, St. Michael, 
hat vermöge jener vollendeten Anpassungsfähigkeit der christlichen 
Sendboten bei den verschiedenen germanischen Stämmen eine ver— 
chiedene Aufgabe. Wenn er bei den den Ziu verehrenden Ale— 
mannen vorwiegend an dessen Stelle trat, muß er mindestens bei 
den Stämmen, bei denen Wodan schon an die erste Stelle gerückt 
war und den alten Himmelsgott Ziu⸗Zeus aus seiner obersten Stelle 
verdrängt hatte, den Wodan vertreten. Der heilige Michael ist dazu 
angepaßt, als der Lanzenkämpfer und der Seelenführer. Beides 
kommt auch dem Wodan zu. Hier an dieser Stelle haben wir nun 
auch in dem vorhandenen Denkmälerbestand ein Zeugnis für jenen 
UÜbergang von Wodan zu Michaqael. 
Die heutige Kirche auf dem Michaelsberg, neuerdings sehr 
verständnisvoll in Stand gesetzt, hat einen feinen spätromanischen 
Bauteil. In diesem finden sich an einer Säulenstellung zwischen 
Chor und Schiff, die als Lettner angesprochen wird (7), reich ver— 
zierte Säulenköpfe. An der einen ist eine wilde Jagd dargestellt, 
hunde hinter dem Hirsch her. Das deutet unmittelbar auf die wilde 
Jagd und damit auf Wodan. An einem anderen Säulenkopf, dem 
Gegenstück zum ersten, findet sich eine merkwürdige Darstellung; 
rundum acht taubenähnliche Vögel mit gespreizten Flügeln; dar— 
über je ein menschlicher Kopf. Die Darstellung ist unerklärt. Ich 
wage eine Deutung. Die Tauben mit den Röpfen darüber bedeuten
	        
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