Der wilde Jäger
20o8
18. Der wilde Jäger. (Johanniskirche in Gmünd;
San Zeno in Verona.)
M⸗n darf selbstverständlich nicht jede Jagddarstellung an Rirchen
gleich auf die wilde Jagd deuten; solche stellen in anderen
Fällen einfach einen Jagdauszug vor, der eben den Rünstler
gegenständlich zur Wiedergabe reizte; so unter anderm der,
wenn man nach der Abbildung in den Bonner Jahrbüchern,
Bd. U9, Beiheft 5. 5, urteilen darf, ziermäßig und künstlerisch
sehr feine Jagdauszug an einem Säulenkopf der Schwanenburg
in Kleve. — Eine scharfe Gangart der Reiter und vor allem die
in vollstem Cauf jagenden Hunde deuten aber vielfach schon auf
die Absicht des Künstlers, die wilde Jagd darzustellen. Der höfische
Jäger in Cleve reitet ruhige Gangart.
In der Gestalt des wilden Jägers hat sich der alte Sturm—
und Schlachtengott noch eine gewisse Würde bewahrt. Er reitet
aus, um seinem deutschen Volk bevorstehende Kriegsnot anzukün—
digen. UÜber des Rodensteiner letzten Auszug wird in den hessischen
Sagen, herausgegeben 1858 von J. W. Wolf, vom Jahr 1848
berichtet: „Der Bürgermeister wollte anfangs nichts darauf geben;
aber dann sagte er es dem Pfarrer und bat ihn, er möge es doch
in die Zeitung setzen lassen; der lachte. und sagte, es sei Aber—
glauben; „aber der Erfolg hat das Gegenteil gelehrt“;
heißt es im Bericht. „Und als 1850 der Kampf gegen die
rote Sippschaft sich dem Ende zuneigte, wurde der Rodensteiner
wieder beobachtet und diesesmal hat es der Pfarrer dann auch
in der Zeitung angezeigt. „Dies letztemal ging der Zug des Heeres
vom Schnellerts aus und wandte sich dem Rodenstein zu, wie das
jedesmal der Fall ist, wenn ein Krieg in Deutschland zu Ende geht.“
Auch vom wohltätigen alten Erntegott hat der wilde Jäger
im Volksmunde noch einen Zug, der alle Feindseligkeit der Kirche
gegen ihn überdauert hat. „In der Richtung, in der der Roden—
steiner vom Rodenstein hinüber zum Schnellerts fährt, lauft mitten
durch das Korn ein Strich; da wächst das Korn viel höher und
gedeiht besser als anderswo auf dem Acker“ (J. WWolf, Hessische
Sagen, S. 24).
So lebendig ist der alte Sturmgott und Erntegott noch in
unserem Odenwälder Volk. Die Sprachgeschichtler bestreiten ja,
daß der Name Odenwald mit Wodan zusammenhängen könne. Es
ist immerhin auffällig, daß solche Züge gerade hier so häufig sind.