Full text: Germanische Götter und Helden in christlicher Zeit

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Heidenkirchlein 
im Vorbeigehen an der Kapelle häufig Gaben in den Opferstock ge— 
worfen. Aber seit die neue Straße nach Rottweil eröffnet sei, die 
unten im Tal und nicht mehr über den Kapellenhügel führe, sei es 
damit vorbei. So urtümliche Vorstellungen haben wir noch in 
unserem Volke. Die Leute opferten dort für einen guten Ausgang 
ihrer Schweinegeschäfte, um ihren Wald- und Hirtenheiligen oder 
die Diana Abnoba oder den Bauerngott Donar günstig zu stimmen. 
Aber so viel war ihnen doch wieder die Sache nicht wert, daß sie, 
als die Straße nicht mehr unmittelbar an der Kapelle vorbeiführte, 
den kleinen Umweg gemacht hätten, hinauf auf den Hügel. Solche 
Glaubensvorstellungen — denn eine Glaubensform muß man es 
doch wohl nennen — haben wir noch unter diesen wohl stark mit 
alpinem Blut durchsetzten alemannischen Gebirgsleuten. 
Der katholische Pfarrer des Ortes, ein sehr unterrichteter und geistig hochstehender 
Mann, machte, angefichts der kleinen wächsernen Gelübdegaben, die zahlreich an einem 
kleinen Seitenaltar der Kapelle aufgehängt waren, eine entschuldigende, übrigens 
echte Duldsamkeit verratende Bemerkung über diese heidnischen Rückstände in. seiner 
Semeinde. Und tatsächlich hat, wie mehr erwähnt, schon Karl der Große und ein 
Hierteljahrtausend später Bischof Burchard von Worms diese Art von Verehrung als 
zeidnisch verboten. Ich konnte damals dem Herrn Pfarrer nicht sagen, wie sehr ich 
diese Duldsamkeit grade schätzte; es wäre zu leicht mißverstanden worden. Ich kann 
aber jetzt dazu ein Wort des Grafen Gobineau anführen, der sein Lebtag ein guter 
Katholik war. Gobineau sagt im Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen, 
8d. 3, 5. 162: „Selbst der Katholizismus ist geneigt, sich im einzelnen durchaus 
den Trieben, den Vorstellungsweisen, dem Geschmack seiner Gläubigen anzupassen.“ 
GBobineau findet in seiner Vielseitigkeit, seiner Weitherzigkeit, seiner Allwendbarkeit 
gegenüber den Blutsanlagen einen der Hauptvorzüge des Katholizismus“ Schemann, 
Sobineaus Stellung zu Religion, Christentum und Kirche, in den Quellen und 
Untersuchungen zum Leben Gobineaus; Bd. 2, 5. 420. 
Es war mehrfach im Zusammenhang dieser Untersuchungen darauf hinzuweisen, 
daß infolge dieser Anpassungsfähigkeit der katholischen Kirche katholische Gegenden 
mehr Überreste vorchristlicher Gottesverehrung aufweisen, als evangelische. Ich erinnere 
nur an die Pferdeweihe beim Leonhardiritt, an die Johannisminne usw. (vgl. oben). 
Das ist „la theologie au bas peuple, lequel, sans ces inepties, serait reduit souvent 
ne pas avoir de croyances du tout“. (Die Gottesgelehrsamkeit für das niedere 
Holk, das ohme solche Kindlichkeiten vielfach dann gar keine Glaubenshoffnungen 
mehr hätte.) 
„Gobineaus Haß gegen die Aufklärer beruhte auf der Erkenntnis, daß diese dem 
kleinen Manne etwas von seinem Glücke rauben; auf der Überzeugung, daß selbst 
ene „Inepties‘, wenn wirklich geglaubt, im Gewissensleben immer noch schwerer 
wiegen als das glaubenslose Nichts“; das keinerlei Ehrfurcht mehr kennt; keine 
Ehrfurcht vor etwas, das anderen Zielen dient als der Lebenserhaltung und dem 
Lebensgenuß. 
Eine gewisse Achtung der kirchlichen Behörden vor dem, was nun einmal für 
heilig gehallen wird, auch wenn eine kirchenamtliche Begründung aus der gerade 
herrschenden Lehre nicht gegeben werden kann, ist deshalb sehr wohltätig; und die 
katholische Kirche ist darin auch durchaus nicht kleinlich. Sie kennt sehr verschiedene 
herfahren und handelt durchaus nicht amtsstubenmäßig. In gewissen Gegenden
	        
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