Heidenkirchlein
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Das Bestreben der christlichen Sendboten, ihre Kirchen an die
Stelle früherer Opferstätten zu bauen, um deren Geweihtsein im
Volksgemüt durch die neue und christliche Weihe zu verdrängen,
mußte die Kirchenerbauer auch vielfach in Berührung bringen mit
den körperlichen Resten und Denkmälern des alten Dienstes.
Ihnen gegenüber brauchte man nicht so duldsam zu sein wie
gegenüber den eingebürgerten Gebräuchen und den Glaubensvor—
stellungen. Das Volk freilich wünschte auch hier die Überlieferung
festzuhalten. Im Leben des heiligen Kolumban wird ausdrücklich
berichtet, daß er in einer der heiligen Aurelia geweihten Kirche am
Bodensee die alten Götterbilder vorgefunden habe, die vom Volke
geehrt wurden wie früher, ohne daß dieses deshalb seinen neuen
Christenglauben verleugnen wollte. Der heilige Kolumban stürzte
die Bilder in den Bodensee, wie der heilige Kilian die in Würzburg
von ihm vorgefundenen heidnischen Götterbilder in den Main stürzte.
häufig wurden aber auch die vorgefundenen heidnischen Altäre und
Bilder in die neue Kirche vermauert. Wenn die uns davon überlie—
ferten Fälle vorwiegend oder sogar fast ausschließlich aus den
römisch besetzt gewesenen Gebieten stammen, so ist das leicht er—
klärlich. Im unbesetzten Deutschland waren naturgemäß meist die
Bilder aus Holz. Karl Helm beschreibt in seiner germanischen Reli—
gionsgeschichte zwei hölzerne Götterbilder. In Possendorf bei Weimar
wurde um die Mitte des 19. Jahrhunderts im Torf ein „drei Fuß
hohes, hermenartiges Götzenbild aus Eichenholz, aufrecht stehend“,
mit eingesetzten erhobenen Armen gefunden; es ist jetzt verschollen
Vor⸗ und frühgeschichtl. Altert. Thür., Würzburg 1909, 5. 276).
Für die absichtliche Verwendung der vorchristlichen Denkmale
in den Kirchenbau bringt Bernhard Schädel in der obengenannten
Schrift über das Mainzer Rad eine Reihe von Belegen. „Wie häufig
finden wir heidnische Altäre in den Fundamenten christlicher Kirchen
vermauert. Aus den zahlreichen Beispielen, die uns zur Verfügung
stehen, seien nur einige zum Beweis genannt. Im Jahre 1804 wurde
die Kirche zu St. Martin in Trier abgerissen; in der Tiefe der Kirche
fand man einen Altar. Ein mit Inschrift versehenes Viergötter—
postament, das auf einen imposanten Säulenbau schließen ließ, wurde
855 im Mauerwerk unter dem Hochaltar der Kapelle zu Udelfangen
im Candkreise Trier gefunden. Beim Abbruche des hinteren Teils
der alten Stiftskirche zu Bonn kam in den Fundamenten des Altars
ein großer Steinblock, wahrscheinlich eine Ara, zum Vorschein. Außer—
dem wurde eine Votivara aus Drachenfelser Trachyt in den Funda—
menten der Kirche gefunden . . . In Guglingen in Württemberg fand
sich ein in die Grundmauern der Kirche eingefügter römischer Altar.