Heidenkirchlein
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bloß zwei Flächen oder mit ausgestochenem Grunde läßt sich nun
aber, wenn sie an Kirchen auftreten, also regelmäßig für einen auf
der Kulturhöhe seiner Zeit stehenden Bauherrn, mit einiger Be—
stimmtheit sagen, daß sie aus einer verhältnismäßig frühen Zeit
stammen; also rund etwa, daß sie karlingischer oder vorkarlingischer
Zeit angehören und demnach vor der SFeit der großen Kaiser aus
dem sächsischen, salischen und hohenstaufischen Hause liegen, die un—
gefähr die rundbogige oder sogenannte romanische Bauart begreift.
Auch ein Grabstein in der Mainzer Steinhalle zeigt diese Art
des halberhabenen Bildes aus nur zwei Flächen; der Stein trägt
die Inschrift: Gehugi Diederiches Drulinda Sones (s. Abb. 12).
Die Inschrift gilt als die älteste Steininschrift in deutscher Sprache.
Freilich finden sich Beispiele dieser Zweiflächensteinbilder auch
noch in späterer Zeit. An der Johanniskirche in Gmünd, aus den
ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhundert, finden sich neben wirklich
rundplastischen Reliefs auch noch zweiflächige oder fast zweiflächige.
In den Beiträgen zur deutschen Mythologie bringt J. W. Wolf eine sehr
unzulängliche Zeichnung von der Außenseite eines rundbogigen Kapellenchörleins
mit Bildhauereien. Er sieht in diesen Wodan, seine Wölfe und seine Raben.
Die Kapelle befand sich in Kuppingen, einem Dorf nicht allzu weit von den
zuletzt betrachteten Stätten, im schwäbischen Oberamt Herrenberg. J. W. Wolf glaubt
den Chor noch erhalten, was auch zu seiner Zeit schon nicht mehr zutraf; er hat
das Denkmal nicht selbst aufgesucht. Eduard Paulus spricht, in den Kunst- und
Altertumsdenkmalen im Königreich Württemberg, von einer noch sichtbaren Chor—⸗
rundung. Tatsächlich ist über der Erde nichts mehr sichtbar. Das Rirchlein ist in
den Jahren 1792-96 abgerissen worden.
Auch von den Steinen ist nichts mehr da. Ich vermute nach Besichtigung an
Ort und Stelle, daß sie in einem in der Nähe stehenden Hause vermauert sind, das
auffällig große und gut gearbeitete Quader zeigt. Vielleicht kann man also doch
noch einmal etwas finden. Nach den Berichten aus der Zeit des Abbruchs sollten
die Steine freilich zum Erbauen einer Zehentscheuer verwendet werden. Die Abbildung
des Chörleins bei Wolf, mit den Bildnereien, die er als Wodansdarstellung deutet,
beruht offenbar auf einem Stich in Sattlers topographischer Geschichte des Herzogtums
Württemberg, die 1784, also vor der Ferstörung des Kirchleins, erschienen ist. Der
Stich ist ja recht mangelhaft für unsere Zwecke; aber er ist offenbar zuverlässiger
als die im Rathause zu Herrenberg anfbewahrte Zeichnung, deren lichtbildnerifsche
Aufnahme dem Verfasser durch die Güte des Forstamts Herrenberg vorgelegen hat.
Diese Zeichnung weist auf dem vierten der Felder, die durch die zum Dachfries hinauf—-
laufenden Halbsäulen gebildet werden, noch eine weitere bildliche Darstellung auf,
die sich auf dem Stich von 1784 nicht findet. Diese vierte Gestalt ist jedoch offenbar
ein kecker Zusatz des Zeichners; denn sie zeigt einen Jäger in der Tracht etwa des
ausgehenden 17. Jahrhunderts, mit Hut, Pluderhosen und Hirschfänger und einem
langen, übrigens für ein Jagdhorn viel zu langen, Horn am Munde. Wir können
sogar noch ungefähr nachprüfen, wie der Zeichner zu dieser eigenmächtigen Erfindung
gekommen ist. Auf dem Stiche von 1784 liegt vor dem Chor, völlig getrennt von
diesem, ein an einen römischen Viergötteraltar erinnernder Steinblock mit einer Gestalt,
die nach rechts hin eine lange grade Tuba an den Mund setzt. Diese Gestalt, die