Full text: Germanische Götter und Helden in christlicher Zeit

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Das Männliche 
Auch dem Nordländer mußte zwar das große Wunder der steten 
Erneuerung des Cebens oder auch des ewigen Lebens, durch Zeu— 
zung und Geburt, zu denken geben und darum irgendwie in seine 
Vorstellungen von den übermenschlichen Dingen eingehen. Aber 
der nordische Himmel und der dadurch gegebene Zwang zur Ver— 
hüllung des Körpers, der spätere Eintritt der Geschlechtsreife — 
„spät lernen die Jünglinge die Liebe kennen“, sagt Tacitus in der 
Hermania — und die beherrschteren Sinne des Germanen umgaben 
diese Dinge mit einer gewissen Scheu und Zurückhaltung; im Gegen— 
satz zu der Art des Südländers, der darin roher, andererseits aber 
bis zu einem gewissen Grade unbefangener und soweit auch natür— 
licher bleibt. Der kargere nordische Himmel mußte naturgemäß auf 
die Aufzucht und daher auf das Geschlechtsleben ganz bestimmte 
Wirkungen haben. „So konnte sich wahrscheinlich nur unter dem Ein⸗— 
fluß eines nördlichen Klimas das altarische Gesetz der Einehe bilden“ 
Max Burckhard, Das Nibelungenlied 5. 39). 
Das Wunder der Spaltung aller höheren Lebewesen in die 
beiden Geschlechter — die noch in dem sagenhaften Stammvater 
Tuisko, dem Zwitter, vereinigt sind — entwickelt umgekehrt wie beim 
SsSüdländer, bei Germanen die Verehrung des Mütterlichen, die Scheu 
and Ehrfurcht vor dem Weibe, weil eben die Germanen eine 
ausgeprägt männliche Rasse sind und daher das Weibliche stark emp— 
finden. Die ausgesprochen männliche Rasse hatte, wie das eine natür— 
liche Wirkung des Gesetzes des Gegensatzes ist, eine größere Ehrfurcht 
vor dem Weibe als die mehr weiblichen Rassen; nach der Unter— 
scheidung der Rassen von Gustav Klemm, Gobineau u. a. „Die 
Frauen sind ihnen geradezu eine Art heiliger und prophetisch be— 
gabter Wesen; ihr Rat bleibt nicht unbeachtet, ihr Spruch wird nicht 
überhört“ (Tacitus). Die Richtigkeit der Nachricht des Tacitus wird 
uns außer durch andere Nachrichten durch ein sehr einwandfreies 
Zeugnis erwiesen; daß nämlich das Wergeld oder die Bußesumme 
für die Tötung einer Frau bei vielen deutschen Stämmen höher war, 
als das des Mannes. Und daß man einen Stamm dadurch, daß man 
ihn zwang, Jungfrauen als Geiseln zu stellen, schärfer gebunden 
wußte als durch die Gestellung von männlichen Geiseln: 16500) eine den 
isoa) Die Sugambrer hatten im Jahre 16 v. Chr. den Römern die schwere 
Niederlage des Lollius beigebracht. Da die Römer diesen Gegner nicht in offenem 
Kampf besiegen konnten, vernichteten sie ihn auf andere Weise. Im Jahre s v. Chr. 
luden die Roͤmer die Stammeshäupter der Sigambrer zu Friedensverhandlungen ein, 
nahmen sie treulos und völkerrechtswidrig gefangen, um Geiseln in die Bände zu 
bekommen gegen das sugambrische Volk. Aber die Geiseln nahmen sich sämft— 
lich das Leben, um ihren Volksgenossen daheim nicht die Entschließung zu be— 
hindern. — Im Winter 55 auf 56 v. Chr. verfuhr Cäsar in ganz entsprechend treu⸗ 
loser und wortbrüchiger Weise mit den Usipetern und Tenkteren: er bat die fämtlichen
	        
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