Full text: Germanische Götter und Helden in christlicher Zeit

Tieropfer 
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Fall sein sollte, ist er sicher eine Nachbildung des alten echten; denn 
die Art der Darstellung ist so selten, daß der zum Ersatze des ab— 
gängigen Türsturzes bestellte Steinmetz sie sicher nicht gewagt hätte, 
ohne hier ein Vorbild zu haben. 1540 
Die Gestalt (siehe Abbild. 121) ist als die römische Göttin Here⸗ 
zura gedeutet worden. Für diese Annahme ist Voraussetzung, daß die 
steinernen Rockfalten der Herecura ganz säuberlich vom KRnochen⸗ 
gerüst der Beine wegverwittert seien; als ob diese Falten wirklich 
aus leichterem Stoff und die Beine aus härterem gewesen wären. 
Da dies aber nicht der Fall ist, konnte eine Gestalt in faltigem Rock 
unmöglich in der Weise durch die Witterung umgestaltet werden, 
wie das Ergebnis jetzt zeigt. Die Gestalt ist umgeben von Tier— 
köpfen, einem Stierkopf, zwei Widderköpfen und zwei Schweins— 
köpfen. Prof. Gundermann sieht in den Köpfen einen Hinweis auf 
die Opfertiere und bringt Nachweise für solche Opfer aus Cicero, 
Hergil und einer lateinischen Inschrift aus Pisa. Nun wurde zwei 
bis drei Wegstunden weit von der Belsener Kapelle, in Wurmlingen 
auf dem Berge mit der Kapelle, die Uhland zu seinem bekannten 
Lied angeregt hat, noch bis zum Jahre 1530 165), unter dem gleichen 
Volkstum, ein Festmahl gefeiert, bei dem ein wohlgemästeter drei⸗ 
jähriger Stier, drei gemästete Schweine in feierlicher Weise ge— 
schlachtet und gegessen werden, dreierlei Brot, dreierlei Bier ge— 
nossen wird, und wo die Stierhaut und die Tierhäupter eine beson⸗ 
dere vorgeschriebene Rolle spielen. Dieses Festmahl auf dem Wurm— 
linger Kapellenberg ist einfach das Überbleibsel oder die christ⸗ 
liche Umbildung eines an derselben Stelle gefeierten vorchrist⸗ 
lichen Opfermahls (vgl. oben Abschnitt 2). Sein Weiterbestehen 
entspricht genau der von Gregor dem Großen im Jahre 601 emp⸗ 
fohlenen Bekehrungsart; man solle, um die alten Verehrungsstätten 
dem Kultus der Dämonen zu entziehen und für den Dienst des wah— 
ren Gottes zu bestimmen, statt den Dämonen und dem Teufel Ochsen 
10) In der Stuttgarter Sitzung der anthropologischen Gesellschaft vom 28. Januar 
882 berichtete Professor Fraas Bonner Jahrbücher, Heft 22, 8. 126) von der alt⸗ 
heidnischen Opferstätte auf dem Lochenstein in der von Belsen nicht allzuweit ent⸗ 
fernten Alb, wo er Grabungen veranstaltet hatte. Er schließt mit den Worten: 
Man versteht den Drang unserer Vorfahren, an diesem Ort der lebenschaffenden 
Sonne ihre Verehrung darzubringen.“ 
u5) Ottmar Schönhuth, Die Burgen, Klöster und Kapellen Württembergs, 
1860, 5. 426. Dort auch ein Abdruck des Stiftungsbriefs des Grafen von Calw 
aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts. Im Jahre 1830 wurde wegen der mannig⸗ 
fachen Irrungen zwischen den katholisch gebliebenen und den evangelisch gewordenen 
bezugsberechtigten Geistlichen die Teilnahme an der Mahlzeit mi ihren feierlichen 
zenau vorgeschriebenen Gebräuchen durch das Bezugsrecht auf ein ordentliches 
Mmittagsmahl und ein Geldgeschenk ersetzt. 
Juna, Germanische Gtter und Besden.
	        
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