Full text: Germanische Götter und Helden in christlicher Zeit

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Sage und Sitte 
Gründungszeit zurückgeht; in die ZFeit der ersten fränkischen Erobe— 
rungen und der Bekehrung dieser alemannischen Cande; von der 
Cappa des fränkischen Volksheiligen Martin stammt der Name und 
der Begriff Kapelle. 
Die Überlieferung von Heidenkirchlein, also daß diese Kapelle 
oder ihre Stelle schon in der vorchristlichen Zeit eine gottesdienstliche 
Stätte gewesen sei, berichtet in vielen Fällen richtig. Man 
hat bisher längst nicht genug Wert gelegt auf solche bloß münd— 
lichen üÜberlieferungen. Sie sind viel zuverlässiger, als man gemeinig— 
lich und besonders als sich der späte Mensch der papierenen Jahr— 
hunderte denkt, der ja schließlich die schriftliche Niederlegung oder 
die Akten für das Leben und sogar für wichtiger als das Leben zu 
halten geneigt ist. Die mündliche Überlieferung ist in frühen Zeiten 
die einzige Art der Überlieferung; sie ist zunäcst Geschichte, Bericht 
von Tatsächlichem; und nur unwillkürlich, durch die verschiedene 
Spiegelung der Tatsachen in der Seele des Berichterstatters, dichtet 
sie freilich auch wohl. 
Aber in den wesentlichen Punkten ist diese Volksüberlieferung 
oft fast unbegreiflich treu; unbegreiflich, wenn man bedenkt, wie 
häufig eine mündliche Überlieferung im Caufe langer Jahrhunderte 
weiter erzählt und neu aufgefaßt werden muß; mit allen Gefahren 
der Veränderung, des Mißverständnisses, der unwillkürlich arbei— 
tenden Einbildungskraft; im Caufe eines Jahrhunderts muß sie 
mindestens dreimal neu in ein Gedächtnis geprägt werden, da drei 
Heschlechterfolgen auf das Jahrhundert gehen. 
Im Jahre 1899 wurde in der Mark Brandenburg ein großer 
GBrabhügel ausgegraben, das sogenannte Königsgrab von Seddin. 
Von diesem Hügel war schon früher immer die Sage gegangen, daß 
in ihm ein großer Fürst begraben liege, in einem dreifachen Sarge, 
einem erzenen, einem silbernen, einem goldenen. Und man fand im 
Jahre 1899 tatsächlich folgendes: Ein Brandgrab mit auffallend 
reichen Beigaben, also das Grab eines Fürsten; die Asche war in 
einer großen Urne beigesetzt; um diese fand man noch Reste einer Holz⸗ 
kiste und diese wiederum war umgeben von einer sorgfältigen Setzung 
von Steinplatten. Also aus der älteren Hallstattzeit, in welche man 
das Grab setzt (Forrer, Reallexikon), hatte sich eine den Tatsachen 
nahekommende Überlieferung von dieser Fürstenbestattung in einem 
dreifachen Sarge erhalten; über einen zweimaligen Bevölkerungs— 
wechsel hinaus, nämlich die Abwanderung der Semnonen, deren 
Ersatz durch die Slawen und die Wiederbesetzung durch deutsche 
Stämme bei der Besiedlung des Ostens. Unterstützt wurde hier die 
überlieferung freilich durch das Bestehen eines weitverbreiteten
	        
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